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Die Betrogenen

Die Betrogenen

Titel: Die Betrogenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Maar
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gleichmütig ihr Badetuch immerfort abstreifenden und sich in immer neuen kühnen Positionen seinen Blicken darbietenden Frauen, die eine jünger, die andere fülliger in ihren Formen. Da stieg es dann aus allen Stollen und Schächten in ihm hoch, und er wußte, er duldete es nun nicht länger.
    Mit der Sporttasche über seiner Schulter, in die sich der Tragegriff allmählich einschnürte, ließ er sich unter Nieselregen treiben, bis er an einer Fußgängerampel stehenblieb.
To paint the town red
– die Engländer hatten einen hübschen Ausdruck dafür, hierzulande ließ man nur häßlich die Sau heraus. Die Riesenlettern, die über dem Eingang des schwärzlich verkachelten Kubus leuchteten, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite wartete, mußte man nicht mehr rot anstreichen. Weniger schamlos als selbstverständlich kühl kündigten sie an, daß den Eintretenden hier – anders als bei den Lusthäusern Pompejis, die das Glück versprachen – eine Art Kino erwarte.
    Das war Schönrednerei, wenn nicht Irreführung, wie Karl bald bemerkte. Wohl gab es eine Leinwand in dem kartonartig kleinen, schwarz ausgekleideten Raum, indem er sich nach Erlös eines Billets auf der hintersten Sitzreihe niederließ. Aber der wahre Zweck der Einrichtung, der nicht in der Betrachtung bestand, sondern der Tat, verbarg sich in den Hinterzimmern, in die zu locken einige Serviererinnen sich an der Theke räkelten.
    Karl hatte sich die Dunkelhäutige ausgesucht, oder sie sich eigentlich ihn; bei der ersten Dame, die ihn mit ins Separee ziehen wollte, eine Lettin oder Polin, dem Akzent nach zu urteilen, hatte er sich noch auf seinen Stand als Kinobesucher berufen. Die üppige Dunkle hatte sich davon nicht entmutigen lassen, sondern die Schwäche seines Widerstands richtig taxiert – dieser Harnisch wäre im Nu geknackt, der war löchrig und schütter wie Stroh. Kaum hatte er die Polin vertröstet, hatte sich die andere zielstrebig von der Theke gelöst und neben ihn gesetzt. Ein derber Griff zur gemurmelten Aufforderung genügte, und Karl folgte ihr nach hinten wie das Lamm oder der Eber zur blutigen Bank.
    Hinter einem Vorhang lag das schmale Kabuff. Das sah ja aus wie beim Hausarzt; nur daß über der weiß bezogenen Liege ein Bildschirm an der Wand angebracht war, auf dem freilich keine grünlichen EKG-Linien flimmerten. Falls Karl es vergessen haben sollte, konnte er hier in aller Detailfülle verfolgen, was jetzt der Sache nach anstand.
    Auch sie hatte mitten im vorerst noch einseitigen Liebesspiel plötzlich losgelacht. Wie lange wollte er sich nochkniend zwischen ihren wie zur Entbindung gespreizten Beinen bemühen? Aber was erwartete er auch, ehrliche Lustseufzer von einer Professionellen?
    Sein verfehlter Eifer hatte das Blut von der falschen Stelle abgezogen; unwirsch, aber routiniert hatte sie für Wiederbelebung gesorgt. Auf ihrem Schulterblatt war ein Schmetterling eintätowiert.
    Für das da capo, das sie später katzenartig schnurrend vorschlug, hatte sein Geld nicht gereicht, und da war es mit dem Schnurren auch schnell vorbei. Im Nu schlüpfte sie wieder in Slip und Rock, schüttelte noch einmal ihre schwarzen Locken und verschwand durch den Vorhang. Das anund abschwellende Stöhnen aus dem Kinoraum, das er weder abschirmen konnte noch sollte, hatte die halbe Stunde meerartig stampfend untermalt.
    Als Karl versuchte, seine Weste anzuziehen, hatte sie sich in ein Möbiusband verdreht. Der rechte Arm hatte sein Loch gefunden, der linke suchte vergeblich Unterschlupf.
    Sie war nicht zu sehen, als er sich kurz darauf noch einmal den Blicken der an der Theke wartenden Frauen aussetzen mußte; er hatte seine Sporttasche vergessen, in der sein Badetuch trocknete. Vielleicht war sie hygienisch beschäftigt.
    Sie stamme von der Elfenbeinküste, hatte sie ihm auf Nachfrage erklärt. War das nicht das Land, in dem sich jede Frau traditionell drei Liebhaber hielt, einen fürs Renommee,den zweiten für die Miete und den dritten für die offenbar anspruchsvolle Libido, nach einem Kleeblattprinzip, das sie in die lautmalerische Formel
Chic, Chèque, Choc
gefaßt hatten?
    Karl runzelte kurz die Stirn. Dieses Mal war er mit der schützenden Hülle zwar wieder nicht ausgerüstet gewesen, aber um so gewiefter damit versehen worden. Der kleine tödliche Halb-Organismus übertrug sich doch nicht auch, in versteckte Kavernen sickernd, durch Speichel und Sekret? Aber es würde ja wohl ein Gesundheitsamt geben, das regelmäßig

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