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Die Betrogenen

Die Betrogenen

Titel: Die Betrogenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Maar
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Küche um.
    Ach, er kochte? Klar, als Single. «Korrekt gehängt», bemerkte sie, als sie die Metallschiene neben dem Herd sah, an der magnetisch gefesselt ein halbes Dutzend Messer hing – die beiden äußeren Messer wiesen jeweils mit der Schneide nach innen. So hätte man es bei einer Bilderserie auch gemacht, auch da wiesen die Randbilder nach innen. Aber die Stiche und Aquarelle, die seien unter konservatorischen Gesichtspunkten leider unmöglich. Wenn der Rahmen nicht ganz luftdicht schloß, zogen doch die ganzen Küchendünste ein. Bei dem schönen Pelikan da hinten gab es am Rand schon Bräunungen, ob er das nicht bemerkt habe?
    Gut, daß sie nicht dabei war, als ihr Vater damals beim Anblick der Messerschiene in die Hände geklatscht und zueinem kleinen Privatissimum ausgeholt hatte. Das war ja fast so spezialisiert wie bei den Samurai! Da gab es auch ein Messerset für die verschiedensten Zwecke – ein flaches schmales Messerchen, das sie von klein auf in die Augenschlitze einer Bronzemaske zu schleudern übten, oder ein anderes, praktisch gekrümmtes, das sie in die Ohrhöhle des abgeschlagenen Kopfs bohrten, der sich damit leichter zur Trophäenschau transportieren ließ … Karl hatte es nicht bedauert, als Bittner zu einem anderen Thema fand. Vielleicht hätte er daran jetzt besser nicht denken sollen.
    Nora hatte unerwartet den ersten Schritt auf ihn zugemacht. Beim ersten Kuß war ihre kleine Zunge hervorgeschnellt, irgend etwas daran erinnerte Karl an eine Eidechse. Ihr ägyptischer Bauch war genau so weich, wie er es sich vorgestellt hatte. An ihren Zehen war der dunkelrote Nagellack abgeblättert. In ihrer rasierten Achselhöhle – da hatten die Amerikaner ja einen Tic, aber Karl war es in diesem Fall recht – hatte er Spuren des gleichen Citrus-Deodorants wahrgenommen, das er selber benutzte. Ob das etwas über innere Verwandtschaft verriet? Am Oberschenkel hatte sie einen blauen Fleck.
    Später dachte er an Mr. Bordeaux – man war sich offenbar nähergekommen in den sechs Wochen … Ob sie da schon geschieden war? Dann mußte sie nicht mehr auf zu fest zugedrehte Wasserhähne achten. Wieviel Manneskraftihr dieser Michael geboten hatte? Im Buch der Natur zu lesen war ihm wohl leichter gefallen als das Entziffern von Weinetiketten. Mit zusammengezogenen Brauen versuchte Karl, das Bild verschwitzter Rastalocken zu verscheuchen.
    Bei ihm hatte dann doch kein Anlaß bestanden, die dürftige Automaten-Ausstattung in Paolos Toilette zu bedauern. Mitten in ihren Zärtlichkeiten, sie hatte zweimal gekichert dabei, hatte sich Nora zusammengerollt, von plötzlicher Müdigkeit wie vom Blitz gefällt. Sie war an seiner Schulter eingeschlafen. Karl hatte noch ihren Weinatem gespürt und war eine Weile wachgelegen, bis er im gleichmäßigen Wellengang ihrer Atemzüge eingetaucht und schließlich versunken war.
    Nachts weckte ihn das Knarzen der Parkettdielen. Sie hatte die Tür zum Badezimmer nicht geschlossen. Karl hörte das feine helle Plätschern und dann die kurze Eruption des Wasserhahns. Der Sturzbach des Spülkastens blieb aus, den wollte sie in der Nacht wohl keinem zumuten.
    Im Morgengrauen meldeten sich pünktlich die zwitschernden Vögel. Nora lag, zu einem schlanken S gekrümmt, mit dem Rücken zu ihm und strahlte Wärme ab. Das erste Morgenlicht fiel durch den schweren Vorhang. Karl erkannte die Konturen seiner Bücherwand. Er versuchte, möglichst ruhig auf der Matratze zu liegen, um Noras Schlaf nicht zu stören, die jetzt ganz leiseschnarchte. Seine Gedanken trieben schläfrig davon und verirrten sich.
    Der Stachel von einem Stachelrochen … Ein bißchen faul war das dann doch. Aber der Tod kam oft in Verkleidung, das stimmte schon. Hatte er das nicht mit der Liebe gemeinsam? Beide schlichen oder pirschten sich an; manchmal schossen sie auch aus dem Unterholz, das war dann der plötzliche Herztod oder die Liebe auf den ersten Blick …
    Wer hatte gesagt, das Schlimmste am Sterben sei, daß man dabei ganz allein war?
    Jetzt war auch der Säugling im zweiten Stock wach geworden, Karl hörte das leise Wimmern von unten. Er mußte an ihre letzte gemeinsame Reise denken. Sie hatte Tränen in den Augen, als sie auf dem Friedhof Montparnasse den Grabspruch entziffert hatte.
J’ai tant neigé pour que tu dormes
. Karl wußte bis heute nicht, welches Ich sich da ausgeschneit haben sollte. Im Café hatten sie dann über das alte Thema gestritten und die ganze Heimfahrt über geschwiegen. Erst bei

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