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Die Betrogenen

Die Betrogenen

Titel: Die Betrogenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Maar
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hatte auch er einmal gehabt, so simpel er schien. Er hatte geträumt, daß er seine Wohnungstür öffnete und ein jüngeres Paar durchs Treppenhaus stromern sah. Gereizt hatte er gefragt: «Wollen Sievielleicht wissen, ob hier eine Wohnung frei wird? Dann fragen Sie doch, es ist nämlich
keine
frei.» Als er am Tag darauf um kurz vor eins auf den Balkon gegangen war, hatte er eine ungewöhnliche Ansammlung von acht oder zehn Personen gesehen, darunter auch Pärchen, die einerseits alle vor der Eingangstür warteten, andererseits deutlich Abstand voneinander hielten. In Erinnerung an seinen Traum hatte er sofort geschlossen, daß es Bewerber um eine Wohnung sein müßten. Nur daß er von einer frei werdenden Wohnung nichts gewußt hatte und also auch nicht im Schlaf darüber hätte grübeln können. Der Traum war auf den falschen Tag gerutscht; hätte er ihn eine Nacht später gehabt, wäre er ganz unauffällig gewesen. Ohne den Traum aber hätte er die Lage vom Balkon aus nicht so schnell erkannt; die Kausalketten hatten sich verheddert. Ob das Bittner am Ende doch imponiert hätte?
    Die Wohnung jedenfalls war frei geworden und bald darauf eine zweite direkt neben seiner, in die demnächst Manteuffel ziehen würde; was heiter zu werden versprach. Es würde laute Opern zu hören geben, und Manteuffel war nicht der Nachbar, bei dem man an die Wand klopfte – oh nein, da stopfte man sich eher Wachs ins Ohr. Wie sollte Karl es vor allem Bittner beibringen? Die beiden waren ja zerstritten und gingen sich seit Jahren aus dem Weg, was nicht ganz leicht war für zwei Schriftsteller, wenn man in derselben Stadt lebte. Wer den anderen ausder Ferne zuerst erkannte, wechselte die Straßenseite; Karl hatte es selbst einmal erlebt. Damals war er auf Manteuffels Seite spaziert und hatte nicht geahnt, was da womöglich schon in dessen Schublade lauerte oder kauerte, um Karl später ins Gesicht zu springen.
    Das Delikateste aber stellte sich erst dann heraus. Wer jetzt nebenan hämmerte und pochte und mit dem Schwingschleifer schliff, um die seit zwanzig Jahren nicht renovierte Wohnung für Manteuffels Einzug vorzubereiten, war der Pole aus Noras Galerie. Der Tip war nicht einmal von Karl gekommen; die Welt war klein, einen Dritten, der die Verbindung schloß, gab es immer, in diesem Fall eine Galeristin, die mit Manteuffels Frau befreundet war. Und so fand sich Karl neuerdings im Gespräch mit dem Bekannten oder Ex-Bekannten von Bittners Tochter, der das immer gleiche zitronengelbe T-Shirt trug und bei heikleren Themen, wenn er etwa Termine versäumt hatte, heftig ins Stottern geriet und dabei die Augen aufriß.
    Mittlerweile bestellte Karl ihn ab und zu selber ein, wenn er ihn im Treppenhaus traf. Seit die Wiedenkopf ihn in der Agentur wieder straffer in die Zügel nahm, hatte Karl wenig Zeit für seine Wohnung, in der es immer eine Winzigkeit zu reparieren gab. Diese Winzigkeiten sprossen wie Unkraut, dessen man nie Herr werden konnte, wenn man nicht regelmäßig jätete, und Woytek war der Mann,diese Queckenwirtschaft zu bekämpfen. «Ssekunde, Ssekunde, Herr Lorentz!», pflegte er zu rufen und die Augen aufzureißen, wenn Karl wieder einmal über die Kabelrolle im Flur zu stolpern drohte. Welches Problem er ihm auch nannte, den tropfenden, wenn auch nicht morsenden Wasserhahn, einen verstopften Abfluß im Bad, eine knarzende Tür oder ein wie durch Geisterhand um neunzig Grad gekipptes Computerbild – Karl hatte einen steifen Nacken bekommen, weil er zum Tippen den Kopf waagrecht halten mußte –, Woytek hatte es in wenigen Minuten gelöst. Die Kraft in den schmalen Armen hätte man ihm dabei gar nicht zugetraut. Er war schmächtig, aber flink, und seinem fliehenden sanften Blick gewannen die Frauen offenbar einiges ab. Karl biß sich auf die Lippen bei der Vorstellung, daß der etwas hündische Charme auch bei Nora verfangen haben könnte.
    Aber genau das war wiederum das Reizvolle: Woytek, der sich gewundert haben würde, was Karl über seine Freizeitvorlieben wußte, hatte sie gekannt; er hatte sie hell auflachen hören und ihr beim Montieren von Lichtleisten in den schwarz gesäumten Ausschnitt geguckt; das machte ihn für Karl wenn auch auf quälende Weise attraktiv. Ein paar Seidenfäden verbanden ihn noch mit ihr, wenn er mit ihrem Polen sprach, oder in diesen Fäden waren sie zumindest gemeinsam verstrickt. Woytek ahnte von alldem nichts, denn an seiner Stimme hatte er ihn nach dem Telephonat offenbar nicht

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