Die Betrogenen
kontrollierte und nach dem rechten sah. Karl verscheuchte den Gedanken; was sollten dann erst andere zittern, die Bittner und co?
Festlich belebt streifte er mit der Tasche über der Schulter die abendlich beleuchtete Straße in Richtung des großen Bahnhofs hinunter, wo er die U-Bahn nehmen würde. Auf der anderen Seite sah er ein beliebtes chinesisches Speiselokal, in dem sich nur gute Freunde trafen, wenn der Name nicht übertrieb. Ein paar Querstraßen weiter lag der kleine von Einrichtungsläden gesäumte Platz mit dem Bierlokal, von dem ihm ein französischer Attaché einmal versichert hatte, man verlasse es nach Mitternacht nicht
avec des mains vides
. Karl hatte es nie betreten, auch nach der Scheidung nicht, nach nur viereinhalb Jahren Ehe, woran er jetzt aber bitte nicht denken wollte. Er passierte das Restaurant, in dem sich die Künstler und Prominententrafen. Wie immer quoll es darin über, da hinten stand notorisch der – jetzt fiel ihm der Name nicht ein, der berühmte Schauspieler und Rezitator; wahrscheinlich war wieder ein Wort darin versteckt.
Aber wer saß da vorne gleich neben dem Eingang? Doch, tatsächlich, er war es. Was machte denn Bittner hier? Erstens in Berlin, und dann war er doch angeblich zunehmend menschenscheu?
Karl war eine Sekunde zu lang stehengeblieben. Er hätte diese Begegnung jetzt lieber vermieden, aber es war zu spät. Bittner, neben einem verwaisten Stuhl sitzend, blickte auf, vielleicht hatte er gespürt, daß ihn jemand ansah. Langsam winkend erhob er sich und trat durch den schweren Vorhang vor die Tür. «So eine Überraschung, so ein schöner Zufall!»
Er strahlte und hielt Karls Hand lange gedrückt. Wann hatte Karl ihn das letzte Mal so angeregt erlebt? Er war eigentlich mit der Galeristin hier, erklärte er, der jungen Freundin seiner Tochter – für ein Augenzwinkern oder einen flotten Blick war Bittner zu fein, aber etwas sanft Verschwörerisches blitzte da doch gerade auf –, sie war sich nur eben frischmachen, das zog sich bei den Frauen oft etwas hin. Sie hatten ja Abschied nehmen müssen heute morgen, er hatte sie noch zum Flughafen gebracht.
Wie bitte? Karl verstand nicht recht, aber spürte, wie sein Mund trocken wurde.
Ach so, Karl konnte es ja nicht wissen! Seine Tochter war heute nach Washington geflogen, wahrscheinlich für länger. Sie sollte eine Galerie besichtigen, sehr ehrenvoll, vielleicht eine Ausstellung vorbereiten, mit Aussicht auf eine feste Dépandance. Ob Karl nicht noch auf ein Glas mit hereinkommen wolle?
Als Karl eine Entschuldigung murmelte, schien Bittner, der ihm noch einmal die Hand drückte, bevor er durch den Vorhang ins Innere zurückglitt, nicht allzu enttäuscht. Schließlich war er mit einer Frau ausgegangen, da hätte ein Dritter womöglich gestört. Was Bittner an der bebrillten Kollegin fand, war Karl im übrigen schleierhaft.
Er seufzte tief, als er die Stufen zur U-Bahn herunterstieg. Sie hatte ihm keine Silbe gesagt, sie war sangund klanglos abgereist – die klassische nicht gegebene Antwort, die dann doch eine ist. Kein Abschiedsgruß war auch ein Abschiedsgruß. Da hätte er lange warten können, und er hätte lange gewartet, wie er sich kannte – das Zwischenspiel vorhin zählte nicht –, und wäre überm Warten petrifiziert.
Als er in seiner Wohnung angekommen war, schien das Licht in der Küche kälter als sonst. Die Messerbank blitzte ihn unwirsch an. Er holte sich ein Budweiser aus dem Kühlschrank und setzte sich. Die Sporttasche hatte auf seiner Schulter einen schmalen Striemen eingedrückt.
IV.
N ebenan bohrte es wieder. Die Wohnung neben Karl war frei geworden, und wer nach der Renovierung einziehen sollte, war kein anderer als Manteuffel. Das Schönste war, Karl hatte es sich selber eingebrockt. Wenn er am Telephon nur nicht den Baulärm im Haus und die neben ihm frei werdende Wohnung erwähnt hätte – aber woher hätte er wissen sollen, daß Manteuffel, der eingefleischte Süddeutsche, sich nicht länger der allgemeinen Drift hatte entziehen können und nach einer Zweitwohnung in Berlin suchte? Er war dann gleich zur Besichtigung angereist, und seitdem wurde nebenan heftig gebohrt.
Wieder dachte er an seinen Traum – nur weil er wußte, daß es nichts Öderes gab als erzählte Träume, hatte er Bittner damals nicht davon gesprochen, als es um Prophezeiungen ging; abgesehen davon, daß er mit Geschichten wie der vom Stachelrochen nicht hatte konkurrieren wollen. Aber eine Art Wahrtraum
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