Die Bettelprophetin
müssen.
Jetzt allerdings fragte sich Theres, warum sich Sophie so aufdonnerte, sich so aufwändig schminkte und dieses bildschöne, hellgelbe Sommerkleid anzog, mit mehrstufigem Volantrock, engem Mieder und einem gewagten schulterfreien Ausschnitt,wenn sie doch hernach ohnehin Haube und Serviertracht anlegen musste. Schon das pastellgrüne Gewand vom Vortag war sehr hübsch gewesen, doch dieses hier musste ein Vermögen gekostet haben.
«Und? Wie gefall ich dir?» Sophie drehte sich elegant um die eigene Achse.
«Du bist wunderschön! Was musst du froh sein, diesem elenden Winkelbordell entkommen zu sein, bevor’s zu spät war.»
«Das kannst mir glauben.»
Statt eine Haube aufzusetzen, steckte sich Sophie Seidenblumen ins Haar und legte sogar weiße Handschuhe an, die ihr bis über die Ellbogen reichten. Theres staunte immer mehr.
«Dieser Karl Bentele – ist der dein Bräutigam?»
Sophie lachte auf. Es klang irgendwie künstlich.
«Weder Freier noch Bräutigam. Mein Brotgeber, nichts weiter.»
«Aber wieso kannst du dir das alles leisten? Das hübsche Zimmer, die Kleider – all das?»
«Ach, Theres – du bist halt doch einfältiger, als ich gedacht hab. Gegen Abend, wenn ich arbeite, kommen nur noch die feinen Herren ins Caféhaus, zum Kartenspiel und Billard. Neben ihrem Wein und Confect wollen die auch noch was Schönes fürs Auge. Wenn da junge Mädchen auftragen, ein wenig zurechtgemacht und scharmant, so hebt das ungemein die Stimmung. Und das Geschäft.»
Ihre Ausdrucksweise wirkte auf einmal genauso fremd und gekünstelt wie ihr Äußeres.
«Und dabei verdienst du so viel Geld?»
«Doch nicht vom Aufwarten allein, du Dummerle. Ich muss mich schon hin und wieder dazusetzen und mit den Herrschaften poussieren.»
Theres war für einen Moment sprachlos.
«Also machst du grad das Gleiche wie bei der Kupplerin», stieß sie endlich hervor.
«O nein. Keiner schreibt mir was vor, und Bentele verlangt nix andres von mir, als dass sich die Gäste amüsieren und wohlfühlen. Ich hab es selber in der Hand, wie weit ich gehen will.»
«Und – wie weit gehst du?», fragte Theres mit dünner Stimme.
«Wenn einer recht nett ist, geh ich schon mal mit ihm ins Nebenzimmer. Glaubst gar nicht, wie dankbar die meisten schon sind, wenn man mit ihnen ein wenig scherzt und lacht und ihnen dran rumspielt, bis sie zufrieden sind. Zuallermeist reicht das schon. Der Mann hat, was er wollt, und für mich ist’s eine saubere Sache. Denk ja nix Falsches. Ausziehen tu ich mich nie und auch nicht küssen lassen mit der Zunge. Da hab ich meinen Stolz. Obwohl’s da schon seltsame Käuze gab. Einer wollt immer, dass ich ihn schlag und dreckige Ausdrücke an den Kopf werf. Und ein anderer, dass ich mit ihm beim Rumspielen am Schniedel das Kernerlied sing. Alle sieben Strophen – dann ist’s ihm endlich gekommen!» Sie begann leise vor sich hin zu singen:
Preisend mit viel schönen Reden, Ihrer Länder Wert und Zahl, Saßen viele deutsche Fürsten, Einst zu Worms im Kaisersaal …
Theres ließ sich auf die Bettkante sinken. «Zuallermeist, sagst du. Aber manchmal – manchmal lässt sie doch richtig machen?»
Ein Anflug von Röte strich über Sophies hübsches, schmales Gesicht. «Jetzt bist päpstlicher als der Papst. Da gibt’s grad mal zwei – die kann ich halt net so kindisch abspeisen. Der eine zahlt mir den Mietzins hier, der andre meine Kleidung.»
«Das ist Hurerei!» Jetzt, wo sie die Wahrheit begriffen hatte, war Theres nur noch entsetzt. «Ein Verbrechen dazu. Du kannst im Zuchthaus landen.»
«Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter. Wenn diese feinen Herren mir schon den Hof machen, weil sie zu Haus keine Lust mehr auf ihr Eheweib haben, dann sollen sie im Gegenzug auch bezahlen. Ich verrat sie dafür nicht. Außerdem: Womit könntest leichter Geld verdienen und auf die Ehe ansparen als damit? Als Waschfrau oder Dienstmagd etwa?»
Theres schwieg. Unzucht und Ehebruch waren schlimm genug, aber – gegen Geld? Auch sie selbst hatte schwer gesündigt. Sie erinnerte sich wieder, wie sie den Gang zum Gottesdienst nach ihren heimlichen Treffen mit Kasimir jedes Mal als schier unerträglichen Bußgang empfunden hatte. Erinnerte sich, wie sie jedes Mal zusammengezuckt war, wenn der Pfarrer gegen die Geißel der Fleischeslust gewettert hatte und wie sie zugleich angewidert war von all den alten Betweibern, die mit verkniffenen Gesichtern und lautem Gemurmel an ihrem Rosenkranz fingerten, als hätten
Weitere Kostenlose Bücher