Die Bettelprophetin
Mehr durften die ja auch gar net machen mit uns Jungfern. Na ja, bis auf einmal, da hat mich einer gewaltsam gebraucht. So stark, dass ich danach drei Tage krank war. Das Schlimmste: Der hatte die ganze Zeit eine Maske auf, damit ich ihn in der Stadt net erkenn, aber am End war die Maske verrutscht, und ich hab gesehen, dass er der Messner von der Stadtkirch war. Ich hab’s dann der Gevatterin erzählt, auch dass ich vor Gericht wollte. Die hat mich nur ausgelacht und mir für meine Dummheit noch obendrein mit dem Stock eins übergebraten. Kein Richter würd mir glauben, weil wir hier aus dem Strickhaus überall als lose Weiber bekannt wären. Ich sollte’s halt machen wie die andern Mädels auch. Mich irgendwann ausstopfen wie eine Schwangere und ein fettes Schweigegeld verlangen. Aber ich hab mich net getraut, auch wenn ich heut denk, dass das schön blöd von mir war. – Hast du gar keinen Hunger?»
Theres starrte erst den Milchbrei an, dann ihre Freundin. Ganz langsam begriff sie: Ihre kluge Sophie, ihre engste, liebste Herzensfreundin, hatte sich als feile Dirne in einem heimlichen Hurenhaus verdingt!
«Ich weiß net, ob du das verstehen kannst.» Sophie gosssich und Theres den letzten Rest Kaffee ein. «Aber ab und an einem Fremden ein bissel zu Gefallen sein, so auf die Schnelle und dann auf Nimmerwiedersehen – das ist allemal besser als dem eigenen Dienstherrn ausgeliefert zu sein. Das kannst mir glauben! Außerdem war ja alles noch recht harmlos, ich kenn so viele, die sind aus Not der Gassenhurerei verfallen. Wo du richtig ran musst und sie dir das Geld hinterher im Dunkeln vor die Füße schmeißen, wennst überhaupt was kriegst. Was meinst, wie ekelhaft das ist! Und gefährlich obendrein. Jetzt glotz doch net so erschrocken, du bist doch gewiss selber keine genierliche Jungfer mehr!» Sie hielt inne und runzelte die Stirn. Zum ersten Mal während ihres Berichts wirkte sie verunsichert. «Oder bist gar wirklich noch eine Jungfer?»
«Geht’s dich was an?» Theres spürte Wut in sich aufsteigen. «Weißt was? Ich versteh’s wirklich nicht. Wie kann man nur so leben? Da würd ich eher als Waschfrau gehen oder als Taglöhnerin zum Straßenbau, als mich so – so besudeln zu lassen!»
Im nächsten Augenblick geschah etwas Überraschendes: Sophie wandte das Gesicht ab, und über ihre Wangen rollten Tränen. Theres sprang auf und nahm ihre Freundin in die Arme.
«Es tut mir so leid. Ich wollt dir nicht wehtun. Wirklich nicht.»
«Du hast ja recht.» Sophie schnäuzte sich am Ärmel. «Ich hätt’s ja auch gern anders gehabt. Weißt, was immer mein Traum war? Lehrerin an der Industrieschule.»
«Meiner auch.» Wider Willen musste Theres lachen, und auch Sophies Augen begannen wieder zu leuchten.
«Komm, gehen wir auf den Markt und kaufen was Schönes ein. Und dann kochen wir. Ich hab bis heut Abend frei.»
Am Nachmittag begann Sophie sich für ihre Arbeit in der Caféwirtschaft herzurichten. Sie stand an ihrem Waschtischund breitete ein ganzes Arsenal an Puderdosen und Quasten, Lippenrot und Kohlestiften vor sich aus.
Beim Mittagessen hatte sie Theres verraten, wie hundeelend sie sich am Ende in der Strickstube gefühlt hatte. Zumal sie bei jedem Mannsbild die Hälfte ihrer Einkünfte an die Kupplerin hatte abgeben müssen und damit ein halbes Jahr brauchte, bis sie ihre Schulden bei dem Biberacher Gastwirt begleichen konnte. Immer häufiger dann hatte die Alte gleich mehrere Mädchen zu einem Kunden geschickt, was ganz besonders widerlich war. Aber keines der Mädchen hatte gewagt, sich zu widersetzen. Als sie endlich die nötige Summe beisammen hatte und ein paar Gulden obendrein, wollte sie sich verabschieden. Doch die Gevatterin hatte sie nicht gehen lassen. Sie sei eins ihrer besten Pferde im Stall, und in Kürze sei sie alt genug, um sich von den Kunden richtig bedienen zu lassen und damit auch ordentlich Geld anzuschaffen.
«Ich hätt mir am liebsten den Strick gegeben. Aber dann hab ich Karl getroffen.»
«Ein – ein Freier?»
«I wo! Karl Bentele, dem das Café hier gehört. Der kannte die Alte wohl von früher her und hat ihr gehörig den Rost runtergemacht, damit sie mich ausbezahlt und die Papiere rausrückt. Und dann hat er mir Arbeit in seiner Caféwirtschaft angeboten.»
«Den Mann hat ja wahrhaftig der Himmel geschickt!»
Sophie hatte nur genickt, denn in diesem Augenblick waren zwei ihrer Mitbewohnerinnen in die Küche getreten, und sie hatten das Gespräch abbrechen
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