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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Lorenzi, gehn wir den ganzen Tag wandern und kehren sogar ein.»
     
    Die anderen Kinder hatten schon bald gemerkt, dass Urle und Theres sich mochten, und hielten sich mit ihrem Spott nicht zurück. «Zwergenpärle» war noch das Harmloseste, was man ihnen hinterherrief, wenn sie mal, was selten genug vorkam, beisammenstanden. Theres versuchte, diesen Sticheleien keine Beachtung zu schenken. Umso stärker war ihr Mitgefühl für Urle. Nicht sosehr seiner missratenen Gestalt wegen, die ihn von weitem wie ein Kleinkind aussehen ließ, obwohl er dochschon fast zwölf war, sondern weil er, noch mehr als sie selbst, unter dem strengen Reglement und dem Eingesperrtsein litt. Erst vor wenigen Monaten nämlich war er hier angekommen, man hatte ihn gewaltsam aus einer Gauklerfamilie herausgerissen. Angeblich hätten seine Eltern ihn, den Jüngsten, zum Betteln und Stehlen ausgeschickt. Nach drei Tagen war er abgehauen, aber schon in Ravensburg hatten sie ihn erwischt und zur Strafe in die Arrestzelle gesteckt. Das erfuhr sie während eines unbeaufsichtigten Momentes beim Hofgang, am Tag von Christi Himmelfahrt. Sie hatten eben ihre katechetischen Übungen hinter sich gebracht und noch für einen Augenblick hinausgedurft an diesem sonnigen Spätnachmittag, bevor es zur Abendmesse gehen sollte.
    «Überall im Land sind wir rumgekommen», erzählte Urle mit leuchtendem Blick, in dem zugleich ein Funken Wehmut lag. «Sogar in so riesigen Städten wie Basel und Nürnberg und Augsburg sind wir aufgetreten. Meine Leute haben einen grellbunt angemalten Pferdewagen, aus dem man eine Bühne bauen kann und auf dem in großen, goldenen Buchstaben unser Name steht: Die Pistoletti-Brüder.»
    «Bist du auch aufgetreten?», fragte Theres.
    «Aber ja! Als Rechengenie. Und als dummer August.» Er legte den Kopf schief und zog Mundwinkel und Augenbrauen so erbarmenswert tief nach unten, dass Theres fast die Tränen kamen. «Ich kann auch auf den Händen laufen und Salto vorwärts und rückwärts. Wenn wir mal wieder im Garten sind, zeig ich’s dir.»
    Der Glanz in seinen Augen verschwand. «Ich halt das hier nicht aus», sagte er leise.
    «Weil die andern so bös zu dir sind?»
    Er schüttelte langsam seinen großen, schweren Kopf. «Ich bin’s gewohnt, dass man über mich lacht. Nur hat das früherdazugehört, zu meinen Auftritten, und hinterher gab’s immer Beifall. Viel schlimmer ist, dass ich nachts keinen Sternenhimmel mehr sehe und frühmorgens keine aufgehende Sonne und keine Tautropfen auf den frischen, grünen Wiesen. Und meine älteren Brüder fehlen mir», seine Stimme wurde immer leiser, «und meine Eltern und mein Onkel, der Feuerspucker.»
    Theres schluckte. «Das versteh ich gut.»
    «Gar nix verstehst du», fauchte er plötzlich. «Überhaupt gar nix.» Dann rannte er davon.
    Verdutzt sah Theres ihm nach. Hatte sie was Falsches gesagt?
    «He, Zwergenbraut!» Ein schmerzhafter Stoß in den Rücken riss sie aus ihren Gedanken. Sie fuhr herum. Vor ihr standen Jodok und Rosina.
    «Habt ihr schon das Aufgebot bestellt?» Jodok grinste hässlich.
    Theres schwieg. Die beiden machten ihr Angst, wie sie sich so breitbeinig und mit verschränkten Armen vor ihr aufgebaut hatten.
    «Oder», Jodok rückte noch näher, «habt ihr’s schon getrieben wie die Karnickel im Stall?»
    Rosina begann schallend zu lachen. «Der hat doch gar keinen Schniedel, als so eine Missgeburt, wie der is!»
    Jodok zupfte an Theres’ Zöpfen. «Oder aber er hat einen so dermaßen großen wie sein Kürbisschädel.»
    Theres schlug ihm die Hand weg. «Ihr seid gemein! Der Urle sieht vielleicht komisch aus, aber er ist gescheiter als ihr alle zusammen.»
    «Was willst damit sagen? Dass wir blöd sind?»
    Theres starrte Jodok an. «Ja», platzte es aus ihr heraus. «Kreuzblöd seid ihr! Alle beide.»
    Rosina klatschte ihr eine Ohrfeige mitten ins Gesicht,woraufhin Theres einen ihrer Zöpfe packte und daran zerrte und riss und gegen Jodok trat, der sie festzuhalten versuchte. Mittenrein schoss plötzlich Urle, trommelte mit den Fäusten gegen Jodoks Brust und ließ schließlich sein Knie gegen dessen Schienbein krachen.
    Jodok schrie auf: «Du Dreckskrüppel! Ich werd dir die Nas ins Arschloch prügeln!»
    «Aufhören! Auseinander!», brüllte es, und schon prasselten Rutenschläge gegen ihre Köpfe und Rücken. Sie fuhren auseinander. Sämtliche Vagantenkinder hatten sie umringt, mittendrin und mit hochrotem Gesicht die alte Wagnerin.
    «In Zweierreihen

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