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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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hier jemand? Herr Löblich?»
    Theres drängte sich noch enger an Urle. Schließlich hörten sie, wie die Tür krachend ins Schloss fiel und die Köchin zu kichern begann.
    «Der gute Wendelin wird immer schusseliger. Hat nur noch die Weiber im Kopf.»
    Als es wieder still wurde im Gang, krochen sie aus ihrem Versteck.
    «Verschwinden wir lieber von hier», sagte Urle.
    «Und das aufgeschlagene Buch?»
    Er zuckte mit den Schultern. «Dann sehen sie halt, dass jemand heimlich da war. Hast doch gehört, was die Köchin gesagt hat. Wenn einer Ärger kriegt, dann der Marder.»
    Schade, dachte Theres auf ihrem Weg zum Hofgang. Schade, dass sie nicht mehr Zeit gehabt hatten. Für ihr Leben gern hätte sie einmal einen ganzen Tag in einer solchen Bibliothek verbracht.
     
    Die mangelnde Aufsicht durch Lehrer und Hauspersonal brachte jedoch nicht nur Vorteile. Immer häufiger kam es zu blutigen Raufhändeln unter den Buben, worin zumeist Jodok, dessen unterwürfiger Freund und Spießgeselle Bartlome und auch Urle verwickelt waren, oder Rosina machte sich daran, ihr neues Opfer zu piesacken: die kleine Pauline. Außerdem griff an solchen Tagen, wo der Anstaltsleiter fort war, das Personal ungleich schneller zu Tatzenstecken und Rohrstock, selbst die Knechte und Mägde, die hierzu gar nicht befugt waren. Und auch dabei floss nicht selten Blut.
    Theres machte das alles eher Bange, als dass sie die neuen Freiheiten genießen konnte. Wie eine Meute Hunde, die aufeinander losgelassen wurden, kamen ihre Mitzöglinge ihr manchmal vor. Und auch Pauline wirkte zunehmend verschreckt.
    Dann, im Spätsommer, überschlugen sich die Ereignisse. Im Grunde begann alles mit den Vakanztagen, die den Schülern um Lorenzi herum gewährt wurden. Am Sankt Laurenztag selbst machten sie den langersehnten Ausflug ins Grüne. Für die Vagantenkinder sollte es zu einer Exkursion in den Altdorfer Wald gehen, die Waisen durften mit der Anstaltsleitung und ihrem Schulmeister an den nahen Rösslerweiher zum Baden.
    Nach der Morgenandacht und einem reichhaltigeren Frühstück als sonst versammelte sich Theres’ Klasse im Hof, wo Lehrfrau Wagner sie an der Seite einer der Mägde bereits ungeduldig erwartete. Ganz fremd sah die Wagnerin aus ohne die gewohnte grobgewirkte Baumwollschürze. In ihrem hochgeschlossenen, hellblauen Sommerkleid mit den Puffärmeln wirkte sie wie eine feine Dame, ihren grauen Haarknoten hatte sie unter einem Sonnenhütchen verborgen. Lediglich die Schnürschuhe passten nicht zu diesem vornehmen Aufzug.
    «Ich kann’s gar nicht glauben, dass wir heute raus dürfen», flüsterte Theres ihrer Freundin zu. Eben schob sich die Sonne über den Dachfirst der Kirche in einen makellosen Himmel, der einen herrlichen Augusttag versprach. Jeder von ihnen trug auf dem Rücken einen Tornister mit Wasserflasche und Brotzeit, die Magd schleppte das Gepäck der beiden Lehrer, zu Mittag dann wollten sie in der Hofwirtschaft Zum Fuchsenloch einkehren.
    Sophie strahlte nicht minder. «Voriges Jahr hatte es gestürmt und geregnet, das war nicht so grandios. Aber Spaß hatten wir trotzdem.»
    Als hätte die Wagnerin ihren letzten Satz gehört, verschaffte sie sich mit erhobenen Armen Ruhe und rief:
    «Dieser Ausflug dient keineswegs nur eurem Vergnügen. Ihr sollt etwas über Gottes Natur lernen und euch körperlich ertüchtigen. Es geht in strammem Marsch voran, getrödelt wird nicht!» Sie spannte ihren Schirm auf. «Na endlich, Herr Kollege, da sind Sie ja!»
    Hilfslehrer Löblich eilte mit seinen langen, schlaksigen Schritten auf sie zu. Auch er hatte sich eigens umgekleidet für diese Landpartie: Zu niedrigen Stiefeln und roten Strümpfen trug er karierte Kniebundhosen, über der Weste einen leichten, ebenfalls karierten Gehrock und statt des hohen Kragens mitHalsbinde ein locker gebundenes, schreiend rotes Halstuch. Seinen Oberlippenbart hatte er für diesen Tag sorgfältig mit Wachs nach oben gezwirbelt, eine Schirmmütze bedeckte sein aschblondes Haar. Theres fragte sich verdutzt, ob er sich wohl für die alte Wagnerin so herausgeputzt hatte.
    «Ihr habt gehört, was eure Lehrfrau gesagt hat», ergriff er das Wort. Dabei schielte er verstohlen zu Auguste, der hübschen jungen Magd, hinüber. «Vor allem aber vergesst nicht, dass ihr heute bei den Bürgern und Bauern dort draußen unser Institut vertretet. Benehmt euch also, sonst kehren wir schnurstracks wieder um. Und jetzt aufgestellt in Zweierreihen, die Buben vorneweg!»
    Sie verließen das

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