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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Anstaltsgelände unter dem Torhaus hindurch, vorbei an halbverfallenen Wirtschaftsgebäuden und einem modrig stinkenden Fischteich, wo sie sogleich zum Halten angewiesen wurden und sich eine längere Ausführung über die Geschichte des Klosters Weingarten und der einstigen habsburgischen Landesherren anhören mussten.
    Theres hatte nur Augen für den herrlichen Blick ringsum auf das Tal und die Wälder. Wie sehr genoss sie die Aussicht unter Gottes freiem Himmel, fern aller Mauern und vergitterten Fenster!
    Weiter ging es steil bergauf durch ein kurzes Waldstück in eine hügelige, sattgrüne Wiesenlandschaft. Das Landsträßchen war von Kirschbäumen gesäumt, ab und an zuckelte ein Bauer auf seinem Bernerwägelchen an ihnen vorüber, auf den Feldern schnitten die Menschen das Korn. Anfangs marschierten sie noch zügig vorwärts und schmetterten voller Inbrunst Wanderlieder wie
Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in die warme Sommerluft. Doch schon allzu bald begann die Wagnerin alle Nas lang ihr Schirmchen in die Höhe zu reißen, als Zeichen dafür anzuhalten. Dann mussten sie hier einen Baum oderStrauch, dort ein Kräutlein oder Blümlein bestimmen. Dabei konnte sich Theres endlich einmal hervortun, denn in der Natur kannte sie sich aus.
    Am späten Vormittag erreichten sie das erste Dorf und füllten am Brunnen ihre Wasserflaschen auf. Schon bald näherte sich ihnen eine Horde barfüßiger Kinder, um sie aus sicherem Abstand zu begaffen. Theres spürte die Blicke wie Pfeile auf ihrer Haut. Die Älteren begann miteinander zu tuscheln, einer zeigte mit dem Finger auf Urle und rief: «Da schau her, a richtigs Zwergle!», und ein andrer: «Des sin Weingärtler.»
    Dann ging es los: «Armenhäusler   – Bettelpack! Armenhäusler   – Bettelpack!»
    Immer mehr Kinder fielen in den Chor mit ein, immer lauter, bis der ganze Dorfplatz von der gemeinen Schmähung widerhallte.
    «Rasch, packt die Wasserflaschen weg und kommt weiter!», befahl die Wagnerin.
    Doch es war zu spät. Der erste Rossbollen kam angeflogen, traf Urle am Kopf, ein zweiter landete inmitten der Mädchenschar. Unter Kampfesgebrüll stürzten sich Jodok, sein getreuer Vasall Bartlome und ein paar andre Buben auf die Angreifer; nach kurzem Zögern und zu Theres’ Überraschung taten Urle und Rosina es ihnen nach, bis Lehrer Löblich mit seinem Wanderstock dazwischenfuhr.
    «Rotzlöffel! Lumpengesindel!», kreischte er. «Einer schlimmer als der andre! Auseinander!»
    Derweil flüchteten die Magd und die Wagnerin mit den Mädchen die staubige Straße hinauf und den nächsten Hügel wieder hinunter, bis der Dorfplatz außer Sichtweite war. Wie eine Schafherde drängten sie sich unter das schattige Dach einer Linde.
    Theres war erschrocken und empört zugleich.
    «Sind die Dorfkinder immer so gemein?», fragte sie Sophie. Die schüttelte den Kopf. «Nur manchmal. Es sieht halt jeder gleich, wo wir her sind.»
    Da kam der Rest ihrer Gruppe den Weg herunter, vorweg Löblich im Stechschritt eines Soldaten. Jodok humpelte leicht, und an Urles Stirn leuchtete eine blutige Schramme im Sonnenlicht. Sein Blick funkelte vor Zorn.
    «Hatte ich euch nicht gesagt, ihr sollt euch benehmen?», polterte der Marder los und bleckte die spitzen Zähne. «Damit ist unser Ausflug zu Ende, dass ihr’s grad wisst. Und du, Urle, lässt dir von Auguste die Wunde säubern. Bist selber schuld, wenn du mir in den Stock rennst!»
    «Aber Herr Löblich   …» Die junge Magd, die kaum älter war als Rosina und einst selbst zu den Vagantenkindern gehört hatte, strahlte den Lehrer an. «Haben sich unsre Kinder net einfach nur verteidigt? Es wär so schad um den schönen Tag. Und Sie selber – wie mutig Sie sich mittendrein gewagt haben! Wie ein Löw!»
    Augenblicklich wurden Löblichs verkniffene Züge weich.
    «Nun ja, dann will ich mal fünfe grad sein lassen. Aber keiner tritt mehr aus der Reihe, dass das klar ist. Ein Stündchen marschieren wir noch, dann machen wir Rast am Weiher.»
    Der Truchsessenweiher erwartete sie kühl und schattig im Wald, dort, wo der riesige, dunkle Altdorfer Forst begann.
    «Zieht euch die Schuhe aus und wascht euch Gesicht und Hände», befahl die Wagnerin, nachdem sie sich an einer flachen Uferstelle gesammelt hatten. «Damit ihr wie anständige Menschen ausseht nachher in der Wirtschaft.»
    «Und weh euch, einer geht weiter hinein als bis zu den Waden», setzte Löblich nach. «Erst vor ein paar Jahren ist ein Musikant aus Altdorf hier

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