Die Beute - 2
Frau Haffner, saß, mit schmeichelnder Stimme einmal »mein lieber Kollege«, ein andermal »unser großer Administrator« nannte. Dann kamen die Männer der Politik: Herr Hupel de la Noue, ein Präfekt23, der acht Monate des, Jahres in Paris zu verbringen pflegte; drei Abgeordnete, darunter Herr Haffner mit seinem breiten Elsässergesicht; sodann Herr de Saffré, ein liebenswürdiger junger Mensch, Sekretär eines Ministers; Herr Michelin, Bürochef des Straßenbauamtes, und andere hohe Beamte. Herr de Mareuil, der ewig die Würde eines Deputierten anstrebte, machte sich breit vor dem Präfekten, um dessen Gunst er sich bewarb. Herr d’Espanet war nicht erschienen, er begleitete seine Frau niemals zu Gesellschaften. Die Damen der Familie saßen zwischen den einflußreichsten Persönlichkeiten. Seine Schwester Sidonie aber hatte Saccard für einen Vertrauensposten ausersehen, weil es galt, einen Sieg zu erringen: ihr Platz war weiter unten am Tisch zwischen den beiden Unternehmern, zu ihrer Rechten hatte sie Meister Charrier, zu ihrer Linken Meister Mignon. Frau Michelin, die Gattin des Bürochefs, eine hübsche rundliche Brünette, saß neben Herrn de Saffré, mit dem sie sich lebhaft, aber leise unterhielt. An den beiden Tafelenden hatte die Jugend Platz gefunden; Auditeure im Staatsrat24, Söhne einflußreicher Väter, heranwachsende Millionäre, Herr de Mussy, der Renée verzweifelte Blicke zuwarf, Maxime zu seiner Rechten Louise de Mareuil, die ihn ganz für sich zu erobern schien. Allmählich begannen die beiden sehr laut zu lachen. Von ihnen gingen die ersten Heiterkeitsausbrüche aus.
Indessen fragte Herr Hupel de la Noue sehr höflich: »Werden wir das Vergnügen haben, Seine Exzellenz heute abend hier zu sehen?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Saccard mit wichtiger Miene, hinter der sich geheimer Ärger verbarg. »Mein Bruder ist so sehr in Anspruch genommen! Er hat uns Herrn de Saffré, seinen Sekretär, geschickt, um sich entschuldigen zu lassen.«
Der junge Sekretär, den Frau Michelin energisch mit Beschlag belegte, hob den Kopf, als er seinen Namen hörte, und rief, in der Meinung angesprochen worden zu sein, auf gut Glück: »Ja, ja, um neun Uhr findet meines Wissens beim Siegelbewahrer eine Ministerkonferenz statt.«
Unterdessen fuhr Herr ToutinLaroche, der unterbrochen worden war, so feierlich, als halte er Vortrag vor dem in gespanntem Schweigen lauschenden Rat der Stadt, in seiner Rede fort: »Die Ergebnisse sind ausgezeichnet. Diese städtische Anleihe bleibt einer der schönsten Finanzerfolge unserer Zeit. Ach, meine Herren …«
Doch hier wurde seine Stimme abermals von Gelächter übertönt, das plötzlich an einem Ende der Tafel ausbrach. Mitten aus diesem Heiterkeitssturm heraus hörte man die Stimme Maximes, der soeben eine Anekdote beendete: »Aber warten Sie doch, ich bin ja noch nicht fertig. Ein Chausseewärter hob die arme Amazone auf. Man behauptet, sie lasse ihm jetzt eine ausgezeichnete Erziehung geben, um ihn später zu heiraten. Sie will nicht, daß sich irgendein anderer Mann außer ihrem Ehegatten rühmen könnte, ein gewisses schwarzes Mal oberhalb ihres Knies gesehen zu haben.«
Das Gelächter brach von neuem los; Louise lachte aus vollem Halse, noch lauter als die Herren. Und ganz sacht schob sich, inmitten dieser Lachsalven, neben jedem Gast das ernste, blasse Gesicht eines Lakaien vor, der, wie taub gegen alles andere, mit leiser Stimme gebratene Wildentenscheibchen anbot.
Aristide Saccard war ungehalten über die geringe Aufmerksamkeit, die man Herrn ToutinLaroche zollte. Um ihm zu zeigen, daß er ihm zugehört hatte, wiederholte er: »Die städtische Anleihe …«
Doch Herr ToutinLaroche war nicht der Mann dazu, sich aus dem Konzept bringen zu lassen.
»Ach, meine Herren«, fuhr er fort, als sich das Gelächter gelegt hatte, »der gestrige Tag war ein großer Trost für uns, deren Geschäftsführung die Zielscheibe so vieler gemeiner Angriffe bildet. Der Magistrat wird beschuldigt, die Stadt in den Abgrund zu steuern25, und – Sie sehen es alle – kaum schreibt die Stadt eine Anleihe aus, so bringt uns jedermann sein Geld, sogar diejenigen, die am meisten geschrien haben.«
»Sie haben Wunder vollbracht«, sagte Saccard. »Paris ist zur Hauptstadt der Welt geworden.«
»Ja, es ist wirklich erstaunlich«, unterbrach jetzt Herr Hupel de la Noue. »Denken Sie nur, daß selbst ich, ein alter Pariser, mich in meinem Paris nicht mehr zurechtfinde. Als ich
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