Die Beute - 2
Hupel de la Noue, artig wie alle Präfekten, entschuldigte und versicherte, die Damen hätten ganz recht. Und er begann eine schlüpfrige Geschichte aufzutischen, die sich in der Hauptstadt seines Verwaltungsbezirks zugetragen hatte. Die Marquise, Frau Haffner und die übrigen Damen lachten laut über gewisse Einzelheiten. Der Präfekt erzählte sehr pikant, mit Andeutungen, plötzlich abgebrochenen Sätzen und einem Wechsel im Tonfall, der den unschuldigen Worten einen reichlich zweideutigen Sinn verlieh. Dann sprach man von dem ersten Dienstagsempfang bei der Herzogin, von einer am Vorabend aufgeführten Posse, vom Tod eines Dichters und von den letzten Herbstrennen. Herr ToutinLaroche, der zuweilen auch liebenswürdig sein konnte, verglich die Frauen mit Rosen, und Herr de Mareuil, noch ganz verwirrt von seinen Wahlaussichten, fand tiefsinnige Worte über die neue Hutmode. Renée jedoch blieb zerstreut.
Die Gäste aßen nun nicht mehr. Als hätte ein heißer Wind über die Tafel geweht, waren die Gläser angelaufen, die Obstschalen auf den Tellern schwarz geworden, war das Brot zerbröckelt, die schöne Symmetrie des Gedecks zerstört. Die Blumen in den großen ziselierten Silbervasen wurden welk. Und die Gäste, in wohliger Selbstvergessenheit vor den Überresten des Nachtischs, fanden nicht den Mut aufzustehen. Einen Arm auf den Tisch gestützt, ein wenig zusammengesunken, saßen sie mit leerem. Blick da, in der willenlosen Ermattung jener maßvollen und schicklichen Trunkenheit der Leute von Welt, die sich nur in kleinen Zügen berauschen. Das Lachen war verstummt, es wurde wenig gesprochen. Man hatte viel getrunken und viel gegessen, wovon die Schar der Ordensträger noch ernster geworden war. In der schwülen Luft des Saales fühlten die Damen, wie ihnen ein wenig Schweiß auf Stirn und Nacken trat. Ernst geworden und etwas blaß, als habe sie ein leichter Schwindel befallen, warteten sie auf den Augenblick des Aufbruchs in den Salon. Frau d’Espanet war über und über rot, während Frau Haffners Schultern wachsbleich aussahen. Herr Hupel de la Noue betrachtete aufmerksam den Griff eines Messers; Herr ToutinLaroche warf Herrn Haffner noch abgerissene Sätze zu, die dieser mit Kopfnicken entgegennahm; Herr de Mareuil blickte traumverloren Herrn Michelin an, und dieser lächelte vielsagend zurück. Die hübsche Frau Michelin plauderte schon lange nicht mehr; hochrot im Gesicht, ließ sie die eine Hand herabhängen, die wohl Herr de Saffré unterhalb des Tafeltuches in der seinen hielt, denn er lehnte sich ungeschickt an den Tischrand, mit hochgezogenen Augenbrauen und der Grimasse eines Mannes, der eben eine algebraische Aufgabe löst. Auch Frau Sidonie hatte einen Sieg errungen, denn die Herren Mignon und Charrier, beide mit den Ellenbogen auf den Tisch gestützt und ihr zugewandt, schienen sehr davon angetan, ihre vertraulichen Mitteilungen zu vernehmen; sie gestand ihnen, daß sie für sämtliche Milchprodukte schwärme und Angst vor Gespenstern habe. Und sogar Aristide Saccard, die Augen halb geschlossen und dem wohligen Gefühl eines Hausherrn hingegeben, der sich bewußt ist, seinen Gästen einen anständigen Rausch beigebracht zu haben, dachte nicht daran, vom Tisch aufzustehen; mit einer Art ehrerbietiger Zärtlichkeit betrachtete er den Baron Gouraud, der, gänzlich in sich zusammengesunken und mit Verdauen beschäftigt, die rechte Hand über das weiße Tischtuch hinstreckte, die Hand eines sinnlichen Greises, kurz, fleischig, besät mit violetten Flecken und mit roten Haaren bedeckt.
Geistesabwesend trank Renée die letzten Tropfen Tokaier, die noch in ihrem Glas verblieben waren, Heiß stieg es ihr ins Gesicht; die widerspenstigen blonden Löckchen an Stirn und Nacken lösten sich auf wie unter einem feuchten Hauch. Ihre Lippen und ihre Nase waren nervös zusammengezogen, sie hatte das stumme Gesichtchen eines Kindes, das starken Wein getrunken hat.
Waren ihr angesichts der Schatten des Parc Monceau rechtschaffene, gutbürgerliche Gedanken gekommen, so gingen sie jetzt unter in der durch die Speisen, die Weine, den Lichterglanz hervorgerufenen Erregung, in dieser sinnverwirrenden Umgebung, die von heißem Atem und zündender Lustigkeit durchweht war. Kein stilles Lächeln tauschte sie mehr mit ihrer Schwester Christine und ihrer Tante Elisabeth, die sich beide bescheiden im Hintergrund hielten und kaum den Mund auftaten.
Mit einem harten Blick hatte sie es dahin gebracht, daß der arme Herr de
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