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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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der weißen Blütenblätter gelbe Staubfäden. Und die große werdende Blume, immer noch Mensch, neigte trunkenen Auges das Haupt über den Wasserspiegel und lächelte in wollüstiger Verzückung, als hätte der schöne Narziß im Tode endlich die Befriedigung der Begierde gefunden, die er sich selber eingeflößt. Wenige Schritte entfernt lag auch die Nymphe Echo im Sterben, sie aber starb an ungestilltem Verlangen; die Starrheit des Bodens erfaßte sie, sie fühlte, wie auch ihre brennenden Glieder allmählich kalt und starr wurden. Sie wurde nicht zu einem gewöhnlichen, von Moos gefleckten Felsen, sondern zu weißem Marmor, durch ihre Schultern und Arme, ihr weites schneeweißes Gewand, von dem der Laubgürtel und die blaue Schärpe herabgeglitten waren. Wie zu Boden gezogen von der Atlasseide ihres Rocks, der mit seinen großen, scharfen Falten einem Block parischen Marmors glich, sank sie hintenüber. Nichts lebte mehr in diesem zur Statue erstarrten Körper außer ihren Frauenaugen, Augen, deren leuchtender Blick an der Blume am Bach haftete, die sich schmachtend über den Wasserspiegel neigte. Und schon war es, als umspielten alle Liebeslaute des Waldes, die langgezogenen Töne des Dickichts, das geheimnisvolle Rauschen der Blätter, die tiefen Seufzer der hohen Eichen den Marmorleib der Nymphe Echo, deren Herz immer noch in dem Steinblock blutete, noch lange einen Widerhall gab und auch die leisesten Klagen von Luft und Erde nachhauchte.
    »Oh, wie haben sie den armen Maxime entstellt!« flüsterte Louise. »Und Frau Saccard könnte man für eine Tote halten.«
    »Sie ist über und über mit Reispuder bedeckt«, sagte Frau Michelin.
    Ähnliche wenig freundliche Bemerkungen wurden laut. Das dritte Bild hatte nicht den unbestrittenen Erfolg der beiden anderen. Dennoch versetzte gerade dieser tragische Abschluß Herrn Hupel de la Noue in Begeisterung über sein eigenes Talent. Er bewunderte sich darin wie Narziß in seinem Spiegel; er war der Meinung, eine Fülle poetischer und philosophischer Gedanken darin untergebracht zu haben. Als die Vorhänge sich zum letztenmal schlossen und die Zuschauer in der Art wohlerzogener Leute Beifall gespendet hatten, bedauerte er bitterlich, daß er seinem Ärger nachgegeben und den letzten Teil seiner Dichtung nicht erklärt hatte. So wollte er wenigstens jetzt den in seiner Nähe Stehenden die Erläuterung all der reizvollen, großartigen oder auch nur neckischen Dinge geben, die der schöne Narziß und die Nymphe Echo verkörperten, und er versuchte sogar zu erzählen, was Venus und Pluto im Hintergrund der Waldlichtung getrieben hatten; doch all diese Herren und Damen, deren nüchterner und praktischer Sinn durchaus begriffen hatte, um was es sich in der Grotte der Wollust und der Grotte des Goldes handelte, zeigten keinerlei Neigung, sich in die mythologischen Verwicklungen des Präfekten zu vertiefen. Nur Mignon und Charrier, die unbedingt Bescheid wissen wollten, befragten ihn in aller Einfalt. So bemächtigte er sich ihrer und hielt sie fast zwei Stunden lang in einer der Fensternischen fest, um ihnen einen Vortrag über Ovids »Metamorphosen«147 zu halten.
    Der Minister zog sich jetzt zurück. Er entschuldigte sich, daß er nicht auf die schöne Frau Saccard warten könne, um ihr sein Kompliment über die vollendete Grazie der Nymphe Echo auszusprechen. Mehrmals war er am Arm seines Bruders durch den Saal gegangen, hatte diesem und jenem die Hand geschüttelt und die Damen begrüßt. Noch nie hatte er sich Saccards wegen so viel vergeben. Er ließ ihn strahlend zurück, nachdem er noch auf der Türschwelle zu ihm gesagt hatte: »Ich erwarte dich morgen vormittag. Komm zum Frühstück zu mir.«
    Nun sollte der Ball beginnen. Die Bedienten hatten die Sessel der Damen an die Wand gerückt. Auf dem Parkett lag jetzt vom kleinen gelben Salon bis zur Estrade der bloße Teppich, dessen große purpurne Blumen sich unter dem von den Kristallprismen der Kronleuchter herabflutenden Lichtgeriesel zu öffnen schienen. Die Hitze nahm zu, die rote Wandbespannung ließ durch ihren Widerschein das Gold an den Möbeln und der Zimmerdecke dunkler leuchten. Man wartete noch mit dem Beginn des Balls, bis sich die Damen Echo, Venus, Pluto und alle übrigen umgekleidet hatten.
    Als erste erschienen Frau d’Espanet und Frau Haffner. Sie hatten die Kostüme des zweiten Bildes wieder angezogen, so kam die eine als Gold, die andere als Silber. Man umringte sie, beglückwünschte sie, und sie

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