Die Beute - 2
sehen«, bemerkte leise Herr Hupel de la Noue, »ich habe die dichterische Freiheit vielleicht ein wenig zu weit getrieben, doch glaube ich, das Wagnis ist mir geglückt … Da die Nymphe Echo sieht, daß Venus nichts über den schönen Narziß vermag, führt sie ihn zu Pluto, dem Gott des Reichtums und der Edelmetalle … Nach der Versuchung des Fleisches die Versuchung durch das Gold.«
»Das ist einfach klassisch!« antwortete Herr ToutinLaroche trocken, mit einem liebenswürdigen Lächeln. »Sie kennen Ihr Zeitalter, Herr Präfekt.«
Die Vorhänge glitten zur Seite, das Klavier erklang lauter. Alles war geblendet. Der Strahl des Scheinwerfers fiel auf flammenden Glanz, und die Zuschauer sahen zunächst nichts als eine einzige Glut, in der Goldbarren und Edelsteine zu schmelzen schienen. Eine neue Grotte wölbte sich; doch diesmal war es nicht die kühle Wohnstatt der Venus, umspült von der auf feinem, perlbesätem Sand auslaufenden Flut; diese Grotte mußte im Mittelpunkt der Erde liegen, in einer heißen, tiefen Schicht, war ein Spalt der antiken Hölle, eine von Pluto bewohnte Höhle in einem Stollen schmelzender Metalle. Die Seide, die den Felsen nachbildete, wies breite, glänzende Adern auf, Ströme flüssiger Erze, die die Venen der alten Erde zu sein und die unermeßlichen Reichtümer und das ewige Leben des Erdinnern mit sich zu führen schienen. Der Boden war, dank eines kühnen Anachronismus des Herrn Hupel de la Noue, mit einer Unmenge goldener Zwanzigfrancsstücke bedeckt: verstreute Goldstücke, aufgehäufte Goldstücke, es wimmelte von Goldstücken den ganzen Hang hinauf.
Auf dem Gipfel dieses Goldberges saß als Pluto145 Frau de Guende; ein weiblicher Pluto, ein Pluto, der mit seinem Busen prangte, in einem in allen Metallfarben breitgestreiften Gewand. Rings um den Gott gruppierte sich, teils aufrecht, teils halb liegend, in ganzen Trauben oder abseits blühend, die feenhafte Pracht dieser Grotte, in der sämtliche Kalifen aus »Tausendundeine Nacht« ihre Schätze ausgeschüttet hatten: Frau Haffner als Gold, in starrer, glänzender Bischofstracht; Frau d’Espanet als Silber, flimmernd wie Mondlicht; Frau de Lauwerens in brennendem Blau als Saphir; ihr zur Seite die kleine Frau Daste, ein lächelnder Türkis in zartem Lichtblau; ihnen reihten sich an: Frau de Meinhold als Smaragd, Frau Teissière als Topas. Und weiter unten lieh die Gräfin Vanska ihre dunkle Glut der Koralle, die Arme hocherhoben, dicht mit rotem Schmuck behangen, glich sie einem wunderbaren Riesenpolypen, der zwischen dem rosigen Perlmuttschimmer halbgeöffneter Muschelschalen Teile eines nackten Frauenkörpers sehen läßt. All die Damen trugen Halsketten, Armbänder, ganze Geschmeide jeweils aus dem Edelstein, den sie darstellten. Viel beachtet wurden die originellen Schmuckstücke der Damen d’Espanet und Haffner: sie waren aus lauter neuen kleinen Gold und Silbermünzen zusammengesetzt. Im übrigen spiegelte sich im Vordergrund wieder dieselbe Handlung ab: die Nymphe Echo warb um den schönen Narziß, der sie noch immer mit der gleichen Gebärde abwies. Und die Augen der Zuschauer gewöhnten sich mit Entzücken an die klaffende Höhle im Schoß der Erdkugel, an diesen Goldhaufen, auf dem sich der Reichtum einer ganzen Welt zur Schau stellte.
Dieses zweite Bild hatte noch größeren Erfolg als das erste. Hier lag ein besonders geistvoller Einfall vor. Die Kühnheit, Zwanzigfrancsstücke, den Goldstrom moderner Geldschränke, sich in die Gefilde griechischer Göttersage ergießen zu lassen, wirkte wie ein Zauber auf die Phantasie der Damen und der anwesenden Finanzleute. Ausrufe wie: »Wieviel Gold! Wieviel Geld!« liefen um, begleitet von Lächeln und freudiger Bewegung. Und gewiß träumte jede der Damen, jeder der Herren davon, all dies zu besitzen, in einem sicheren Gewölbe geborgen.
»England hat gezahlt! Das sind Ihre drei Milliarden«, flüsterte Louise boshaft Frau Sidonie ins Ohr.
Frau Michelin schob ihren Tänzerinnenschleier zur Seite und liebkoste, den Mund in verzückter Begehrlichkeit halb geöffnet, das Gold mit glänzenden Blicken, während die Gruppe der ernsten Männer wie benommen war. Der ganz beseligte Herr ToutinLaroche tuschelte dem Baron, dessen Gesicht sich über und über mit gelben Flecken bedeckte, ein paar Worte ins Ohr.
Die Herren Mignon und Charrier waren weniger zurückhaltend und meinten mit unverhüllter Naivität: »Alle Wetter! Das würde genügen, um ganz Paris niederzureißen
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