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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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hatte.
    Mittlerweile betrat Frau Sidonie, die seit den ersten Geigenstrichen im Ballsaal umhergeschlichen war, den Speisesaal und winkte Saccard mit einem Blick zu sich heran.
    »Sie tanzt nicht«, flüsterte sie ihm zu. »Sie sieht nervös aus. Ich glaube, sie hat irgend etwas vor … Den Galan konnte ich aber bis jetzt noch nicht ausfindig machen … Ich will schnell etwas essen und mich dann wieder auf die Lauer legen.«
    Und stehend, wie ein Mann, verzehrte sie einen Hühnerflügel, den sie sich von Herrn Michelin hatte bringen lassen, der soeben mit seiner Platte Gänseleberpastete fertig geworden war. Sie goß sich Malaga in einen großen Champagnerkelch, wischte sich dann mit den Fingerspitzen die Lippen und kehrte in den Salon zurück. Die Schleppe ihres Zauberinnengewandes schien bereits allen Staub der Teppiche aufgekehrt zu haben.
    Der Ball begann schon zu erlahmen und dem Orchester ging der Atem aus, da erhob sich ein Gemurmel: »Der Kotillon, der Kotillon!«, das Tänzer und Musikanten neu belebte. Die Paare kamen unter allen Büschen des Gewächshauses hervor, der große Saal füllte sich wie zur ersten Quadrille, und in dem neu entstandenen Gewühl wurde lebhaft verhandelt. Es war das letzte Aufflackern des Balls. Die Herren, die nicht tanzen wollten, betrachteten von den Fensternischen aus mit lässigem Wohlbehagen die schwatzende, immer größer werdende Gruppe mitten im Saal, und die verspäteten Esser am Büfett reckten, ohne von ihren Brötchen zu lassen, die Hälse, um besser zu sehen.
    »Herr de Mussy will nicht«, sagte eine Dame. »Er schwört, daß er den Kotillon nicht mehr anführen wird … Ach, Herr de Mussy, nur noch einmal, ein einziges, winziges Mal! Tun Sie es uns zuliebe!«
    Doch der junge Gesandtschaftsattaché in seinem an den Ecken umgeplätteten Kragen blieb ungerührt. Es sei ihm wirklich unmöglich, er habe es gelobt. Das war eine allgemeine Enttäuschung. Maxime weigerte sich ebenfalls, sagte, er sei außerstande, völlig erschöpft. Herr Hupel de la Noue wagte nicht, sich anzubieten; er ließ sich nur bis zur Poesie herab. Als eine der Damen Herrn Simpson vorschlug, wurde sie zum Schweigen gebracht; Herr Simpson war der sonderbarste Kotillonarrangeur, den man erleben konnte; er überließ sich dabei phantastischen und hinterlistigen Einfällen; man erzählte sich, er habe in einem Salon, wo man so unvorsichtig gewesen war, ihn zu wählen, die Damen gezwungen, über Stühle zu springen, und eine seiner Lieblingsfiguren bestehe darin, die ganze Gesellschaft auf allen vieren durch den Saal kriechen zu lassen.
    »Ist Herr de Saffré schon fort?« fragte eine kindliche Stimme. Dieser war im Begriff zu gehen und verabschiedete sich gerade von der schönen Frau Saccard, mit der er sich ausgezeichnet stand, seit sie nichts von ihm wissen wollte. Der liebenswürdige Skeptiker hatte Hochachtung vor den Launen seiner Mitmenschen. Man holte ihn im Triumph aus dem Vestibül zurück. Zwar wehrte er sich, behauptete lächelnd, man bringe ihn in Verlegenheit, er sei ein ernster Mensch. Doch angesichts all der vielen weißen Hände, die sich ihm entgegenstreckten, sagte er: »Nun denn … Nehmen Sie Ihre Plätze ein. Aber ich warne Sie – ich verfahre nach klassischem Muster. Ich habe nicht für zwei Sous Phantasie!«
    Die Paare ließen sich rings an den Wänden des Salons auf allen Sitzgelegenheiten nieder, deren man habhaft werden konnte; die jungen Leute holten sogar die gußeisernen Stühle aus dem Treibhaus. Es war ein Riesenkotillon. Herr de Saffré, der die feierliche Miene eines zelebrierenden Priesters zur Schau trug, wählte für sich die Gräfin Vanska, deren Korallenkostüm es ihm angetan hatte. Als alle auf ihren Plätzen saßen, warf er einen langen prüfenden Blick über die große Kreislinie bunter Gewänder, deren jedes einen schwarzen Frack zur Seite hatte. Und dann winkte er dem Orchester, dessen Blechinstrumente rauschend einsetzten. Einzelne Köpfe beugten sich vor aus der langen Reihe lächelnder Gesichter.
    Renée hatte es abgelehnt, am Kotillon teilzunehmen. Seit dem Beginn des Balls war sie von nervöser Lustigkeit gewesen, hatte kaum getanzt, war von einer Gruppe zur anderen gegangen, denn sie hielt es nirgends aus. Ihre Freundinnen fanden sie sonderbar. Irgendwann im Verlauf des Abends hatte sie erzählt, sie plane mit einem berühmten Luftfahrer, mit dem ganz Paris sich gerade beschäftigte, im Ballon aufzusteigen. Als der Kotillon anfing, war es ihr ärgerlich,

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