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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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ging geradewegs ins Gewächshaus. Sie hatte weder Louise noch Maxime unter den Tanzenden gesehen und vermutete daher die beiden in einem Laubwinkel, vereint durch ihre Neigung zu Spaßen und Zoten, die sie die verborgenen Eckchen aufsuchen ließ, sobald sie irgendwo zusammen waren. Doch sie durchspähte vergebens das Halbdunkel des Treibhauses. Sie bemerkte nur ganz hinten in einer Laube einen hochgewachsenen jungen Menschen, der der kleinen Frau Daste inbrünstig die Hände küßte und dabei murmelte: »Frau de Lauwerens hat mir mit Recht gesagt, Sie seien ein Engel!«
    Diese Liebeserklärung in ihrem Hause, in ihrem Wintergarten empörte Renée. Frau de Lauwerens hätte ihr Gewerbe wirklich anderswo treiben können! Und es wäre eine Erleichterung für Renée gewesen, wenn sie all die Leute, die solchen Lärm in ihren Räumen machten, hätte aus dem Hause jagen können. Sie stand vor dem Bassin, sah ins Wasser und fragte sich, wo sich wohl Maxime und Louise versteckt haben mochten. Immer noch spielte das Orchester denselben langsam wiegenden Walzer, der ihr Übelkeit verursachte. Es war unerträglich, man konnte in seinem eigenen Hause keinen klaren Gedanken fassen. Sie wußte nicht mehr, was vorging. Sie vergaß, daß die jungen Leute noch nicht miteinander verheiratet waren, und sagte sich, sie würden wohl ganz einfach, zu Bett gegangen sein. Dann fiel ihr der Speisesaal ein, schnell stieg sie die Treppe des Gewächshauses wieder empor. Doch an der Tür des großen Saales wurde sie ein zweites Mal durch eine Kotillonfigur aufgehalten.
    »Das sind die ›schwarzen Punkte‹, meine Damen«, sagte Herr de Saffré artig. »Dies ist eine Erfindung von mir, die Sie als allererste zu sehen bekommen!«
    Es wurde sehr gelacht. Die Herren erklärten den Damen die Anspielung. Der Kaiser hatte kürzlich eine Rede gehalten, worin er »gewisse schwarze Punkte«148 am politischen Horizont feststellte. Diese »schwarzen Punkte« hatten, man wußte nicht recht warum, Schule gemacht. Der Pariser Witz hatte sich dieses Ausspruchs so sehr bemächtigt, daß man seit acht Tagen alles auf die schwarzen Punkte bezog.
    Herr de Saffré schickte die Herren an das eine Ende des Saales, wo sie den ihnen am anderen Ende gegenüberstehenden Damen den Rücken zuwenden mußten. Dann forderte er sie auf, ihre Frackschöße so in die Höhe zu heben, daß sie den Hinterkopf bedeckten. Das vollzog sich unter toller Heiterkeit. Bucklig, mit eingezogenen Schultern, mit Fräcken, die ihnen nur noch bis zur Taille reichten, sahen die Kavaliere wirklich abscheulich aus.
    »Lachen Sie nicht, meine Damen«, rief Herr de Saffré mit äußerst komischem Ernst, »oder ich lasse Sie Ihre Spitzenröcke über den Kopf schlagen!«
    Die Heiterkeit verdoppelte sich noch. Und er machte seine Autorität energisch gegen einige Herren geltend, die ihren Nacken nicht verdecken wollten.
    »Sie sind die ›schwarzen Punkte‹«, sagte er, »verbergen Sie Ihren Kopf, zeigen Sie nur den Rücken, die Damen dürfen nur noch Schwarz sehen … Und nun tauschen Sie die Plätze, damit niemand Sie erkennen kann.«
    Die Heiterkeit hatte ihren Höhepunkt erreicht. Die »schwarzen Punkte« bewegten sich, auf ihren dürftigen Beinen hin und herschwankend, wie kopflose Raben. Bei einem der Herren sah man das Hemd und ein Stück des Hosenträgers. Jetzt flehten die Damen um Gnade, denn sie erstickten vor Lachen, und Herr de Saffré geruhte, ihnen zu befehlen, jede von ihnen möge sich einen »schwarzen Punkt« holen. Wie ein Schwarm junger Rebhühner stürmten sie davon, unter gewaltigem Rauschen ihrer Röcke. Am Ziel angelangt, nahm sich jede einen Kavalier, wie er ihr gerade unter die Hände kam. Es gab ein unbeschreibliches Durcheinander. Und der Reihe nach lösten sich daraus die Zufallspaare und tanzten bei der lauter gewordenen Orchesterbegleitung eine Runde durch den Saal.
    Renée hatte sich an die Wand gelehnt. Bleich, mit aufeinander gepreßten Lippen sah sie zu. Ein alter Herr kam höflich heran und fragte, warum sie nicht tanze. Sie mußte lächeln, irgend etwas erwidern. Schnell schlüpfte sie dann davon und trat in den Speisesaal. Der Raum war leer. Mitten zwischen den geplünderten Tischen, der herumstehenden Flaschen und Tellern saßen an einem Ende der Tafel Maxime und Louise nebeneinander vor einer ausgebreiteten Serviette und soupierten in aller Ruhe. Sie lachten und schienen sich wohl zu fühlen inmitten dieser Unordnung von schmutzigen Gläsern, fetttriefenden

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