Die Beute - 2
Landauers. Ganz in Schwarz, den Überzieher bis unters Kinn zugeknöpft, trug er einen sehr hohen, etwas schräg aufgesetzten Zylinder, dessen Seide glänzte. Ihm gegenüber, auf dem anderen Sitz, saßen zwei Herren, gekleidet mit jener tadellosen Eleganz, wie sie in den Tuilerien gern gesehen wurde, und schauten ernst vor sich hin, die Hände auf den Knien, mit der stummen Miene von Hochzeitsgästen, die mitten durch die neugierige Menge fahren.
Renée fand, daß der Kaiser gealtert sei. Unter dem dichten, gewichsten Schnurrbart öffnete sich der Mund noch schlaffer. Die schwer herabhängenden Augenlider verdeckten fast das erloschene Auge, dessen gelbliches Grau noch trüber geworden war. Nur die Nase ragte noch hager und scharf aus dem verschwommenen Gesicht hervor.
Während die Damen in ihren Wagen verhalten lächelten, zeigten die Fußgänger einander den Herrscher.
Ein dicker Mann behauptete, der Kaiser sei der zur Linken, mit dem Rücken zum Kutscher sitzende Herr. Einige Hände erhoben sich zum Gruß. Saccard aber, der den Hut bereits gezogen hatte, ehe die Vorreiter vorbei waren, wartete, bis der kaiserliche Wagen unmittelbar neben ihm war, und schrie dann mit seiner lauten Provenzalenstimme: »Es lebe der Kaiser!«
Der Kaiser drehte sich überrascht um, erkannte offenbar den Enthusiasten und erwiderte lächelnd den Gruß. Und dann verschwand alles im Sonnenlicht, die Reihe der Equipagen schloß sich wieder, und Renée sah nur noch über den Pferdemähnen, zwischen den Rücken der Lakaien die grünen Mützen der Vorreiter mit ihren goldenen Eicheln auf und niederhüpfen.
Einen Augenblick saß sie mit weitgeöffneten Augen da, noch ganz erfüllt von dieser Erscheinung, die sie an eine andere Stunde ihres Lebens erinnerte. Es schien ihr, als habe der Kaiser, indem er sich der Wagenreihe einfügte, dieser den höchsten, unentbehrlichen Glanz verliehen und diesem Siegeszug seinen Sinn gegeben. Jetzt war es ein wahrer Triumph! All diese Räder, diese dekorierten Herren, diese schmachtend hingegossenen Damen folgten dem Glanz des voranrollenden kaiserlichen Landauers. Dieser Eindruck wurde so bitter und schmerzlich für Renée, daß sie das unabweisliche Bedürfnis empfand, diesem Triumph zu entfliehen, dem Ruf Saccards, der ihr noch in den Ohren gellte, dem Anblick von Vater und Sohn, die Arm in Arm, plaudernd und gemächlichen Schritts spazierengingen. Die Hände an die Brust gelegt, wie verbrannt von einem inneren Feuer, dachte sie nach, und in einer plötzlichen Hoffnung auf Erleichterung, auf heilende Kühlung, beugte sie sich vor und rief dem Kutscher zu: »Zum Palais Béraud!«
Im Hof herrschte die gewohnte klösterliche Kälte. Renée ging durch die Bogengänge, glücklich über die Feuchtigkeit, die sich um ihre Schultern legte. Sie trat an den grünbemoosten Brunnentrog, dessen Rand vom Gebrauch blank geworden war; sie betrachtete den halbverwitterten Löwenkopf mit dem ein wenig geöffneten Rachen, der durch eine eiserne Röhre hindurch einen Wasserstrahl spie. Wie oft hatten sie und Christine ihre Kinderarme um diesen Kopf geschlungen und sich dann vorgebeugt, um bis an den Wasserstrahl zu reichen, dessen eisigen Sprühregen sie so gern auf ihren kleinen Händen fühlten! Dann stieg Renée die große stille Treppe hinauf und erblickte ihren Vater am Ende der weiten Zimmerflucht; er richtete seine hohe Gestalt auf und verschwand langsam im Dunkel des alten Hauses, dieser stolzen Einsamkeit, in die er sich seit dem Tod seiner Schwester vollständig zurückgezogen hatte; und Renée dachte an die Herren im Bois de Boulogne, an jenen anderen Greis, den Baron Gouraud, der seinen auf Kissen gebetteten Leib in die Sonne fahren ließ. Sie stieg weiter hinauf, eilte durch die Korridore, über die Dienertreppe, machte sich auf den weiten Weg zum Kinderzimmer. Oben angekommen, fand sie den Schlüssel am gewohnten Nagel, einen dicken verrosteten Schlüssel, um den die Spinnen ihr Netz gewoben hatten. Das Schloß gab einen klagenden Laut von sich. Wie war das Kinderzimmer jetzt traurig! Das Herz krampfte sich ihr zusammen, als sie es so leer, so grau, so stumm wiederfand. Sie schloß die offengebliebene Tür des Vogelhauses, mit der undeutlichen Empfindung, daß durch diese Tür die Freuden ihrer Kindheit davongeflogen seien. Vor den Blumenkästen, die noch gefüllt waren mit hart gewordener, wie trockener Schlamm rissiger Erde, blieb sie stehen und zerbrach zwischen den Fingern einen Rhododendronzweig; dieses
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