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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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rief Céleste dazwischen: »Das habe ich ja ganz vergessen, ich habe Ihnen noch gar nicht die Geschichte von Baptiste, dem Kammerdiener des Herrn, erzählt … Man hat Ihnen gewiß nichts sagen wollen …«
    Die junge Frau gab zu, daß sie tatsächlich nichts wisse.
    »Nun, Sie erinnern sich an seine großartige Würde, seine herablassenden Blicke, Sie haben selber mal mit mir davon gesprochen … Das alles war nichts als Komödie … Er machte sich nichts aus Frauen, kam niemals ins Dienerzimmer herunter, wenn wir dort waren; und er behauptete sogar – jetzt darf ich’s ja sagen –, es sei widerlich im Salon, wegen der ausgeschnittenen Kleider. Das will ich gern glauben, daß er die Frauen nicht leiden mochte!«
    Und sie neigte sich zu Renées Ohr und brachte sie zum Erröten, während sie selber ihre biedere Ruhe bewahrte.
    »Als der neue Stallknecht«, fuhr sie fort, »dem Herrn alles gesagt hatte, hat der Herr den Baptiste lieber weggejagt, als ihn dem Gericht zu übergeben. Es scheint, daß diese häßlichen Dinge schon seit Jahren in den Ställen getrieben wurden … Und dabei tat der durchtriebene Kerl so, als liebte er die Pferde! Die Stallburschen hat er geliebt!«
    Céleste wurde durch die Glocke unterbrochen. Schnell ergriff sie die acht oder zehn Bündel, von denen sie sich nicht hatte trennen wollen. Sie ließ sich küssen. Dann ging sie, ohne sich noch einmal umzusehen.
    Renée blieb auf dem Bahnhof, bis der Pfiff der Lokomotive ertönte. Und als der Zug abgefahren war, wußte sie in ihrer Verzweiflung nicht, was sie tun sollte; die Tage, die nun vor ihr lagen, schienen ihr so leer wie die große Halle, in der sie allein zurückgeblieben war. Sie stieg wieder in ihr Kupee und befahl dem Kutscher, nach Hause zu fahren. Unterwegs aber besann sie sich anders; sie fürchtete sich vor ihrem Zimmer, vor der Langenweile, die sie erwartete; sie hatte nicht einmal mehr den Mut, nach Hause zurückzukehren, um sich für ihre gewohnte Spazierfahrt um den See im Bois de Boulogne umzuziehen. Sie empfand ein Bedürfnis nach Sonne, nach vielen Menschen.
    Sie befahl dem Kutscher, in den Bois zu fahren.
    Es war vier Uhr. Der Bois erwachte aus der Schwüle des heißen Nachmittags. Wolken von Staub flogen durch die Avenue de l’Impératrice, und in der Ferne sah man die breiten grünen Flächen, umgrenzt von den Abhängen von SaintCloud und Suresnes154, überragt von den grauen Umrissen des Mont Valérien. Hoch über dem Horizont wanderte die Sonne dahin, füllte alle Lücken im Laub mit Goldstaub, ließ die oberen Zweige aufflammen, verwandelte dieses Blättermeer in ein Meer von Licht. Hinter den Befestigungen aber hatte man in der Allee, die zum See führt, frisch gesprengt; die Wagen rollten über den braunen Boden wie über einen dicken Wollteppich, rings umher stiegen Kühle und ein Geruch nach feuchter Erde auf. Zu beiden Seiten durchbrachen die kleinen Bäume des Buschholzes mit ihren vielen jungen Stämmchen das niedrige Gesträuch und verloren sich in einem grünlichen Halbdunkel, in das die Sonnenstrahlen hie und da gelbe Lichtungen malten; und je näher man dem See kam, desto zahlreicher wurden die Stühle auf den Gehsteigen; ganze Familien saßen hier und betrachteten mit stillen, schweigenden Gesichtern den endlosen Zug der Wagen. An der Wegkreuzung vor dem See war man wie geblendet: die schräg einfallenden Sonnenstrahlen verwandelten das Wasserrund in einen großen Spiegel aus poliertem Silber, der das strahlende Antlitz des Gestirns widerspiegelte. Die Augen blinzelten, links am Ufer konnte man weiter nichts unterscheiden als den dunklen Fleck des Vergnügungsschiffs. Die Sonnenschirme in den Wagen neigten sich überall mit der gleichen sanften Bewegung gegen diesen Glanz und richteten sich erst in der Allee längs des Wassers wieder auf, das von der Böschung aus gesehen eine metallene Schwärze mit Streifen bräunlichen Goldes annahm. Rechts reihten die Nadelhölzer ihre schlanken, geraden Stämmchen zu Säulenreihen, deren zartes Violett unter dem flammenden Himmel ins Rote spielte; zur Linken dehnten sich die lichtübergossenen Rasenflächen gleich Smaragdfeldern bis an das ferne Gitter der Porte de la Muette. Und als man sich dem Wasserfall näherte und auf der einen Seite wieder das Halbdunkel der Wäldchen begann, hoben sich jenseits des Sees die Inseln vom blauen Himmel ab, mit Sonnenlichtern am Ufer und dem wuchtigen Dunkel ihrer Tannen, zu deren Füßen das Schlößchen lag wie ein

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