Die Beute - 2
»Beute«Verteilung gefaßt, und im Roman selbst sind die wesentlichen Konstituanten des Bildes nach allen Seiten hin assoziativ ausgebaut. Wir werden sie in einer Reihe von Bildkomplexen wiederfinden, die dem Roman unterlegt sind. Zentral ist immer das Bild von der Meute ausgehungerter Tiere, die gierig über die Beute herfallen und sie zerfleischen und verschlingen. So wie sich Napoleons Würdenträger auf ganz Frankreich stürzen, läßt sich Saccard wie ein Raubvogel auf Paris nieder: »Mit dem Instinkt des Raubvogels, der schon von weitem das Schlachtfeld wittert, stürzte sich Aristide Rougon am Tage nach dem Staatsstreich … auf Paris.« Er »sprach von Paris mit der Gier eines hungrigen Wolfes«, und seine Mardernase zieht gierig die Witterung der Stadt ein, wenn er durch die Straßen streift, gewiß, »daß er auf der richtigen Fährte war, daß das Wild schon vor ihm herlief, daß endlich die große Kaiserjagd, die Jagd auf Abenteuer, auf Frauen, auf Millionen begonnen habe. Seine Nasenflügel zitterten, mit dem Instinkt der ausgehungerten Bestie erfaßte er im Vorübergehen vortrefflich die geringsten Anzeichen der Beuteteilung, deren Schauplatz diese Stadt sein sollte.« Doch nicht nur Saccard lauert der Stadt auf wie ein Raubtier im Hinterhalt, auch Renée stürzt sich auf Maxime wie eine Katze, die ihre Krallen in das Fleisch ihres Opfers schlägt: »Und mitten auf dem schwarzen Bärenfell leuchtete weiß Renées Körper in der Stellung einer großen kauernden Katze … Sie belauerte Maxime, diese unter ihr zu Boden geworfene Beute, die sich ganz aufgab, von der sie völlig Besitz ergriffen hatte.« Zugleich steht die Beute eines jeden dieser Räuber symbolisch für das Ganze. Was für die Clique Napoleons Frankreich, ist für Saccard Paris und für Renée ihr Stiefsohn Maxime. Er ist das letzte Laster, das »Böse«, ihr Anteil an dem Beutezug dieser ausschweifenden Gesellschaft, die sie allmählich in eine hemmungslose Begierde verwandelt hat. Und so wie Maxime Renées Wollust preisgegeben ist, erscheint Paris als das hingeworfene Wild, dessen Eingeweide von Haussmanns Boulevardbauten herausgerissen und den Häusermaklern und Spekulanten wie Saccard zum Fraße hingeschleudert werden. Und Paris seinerseits steht stellvertretend für Frankreich, das in einer schwachen Stunde die wohlfeile Beute einer Clique von Abenteurern geworden ist, die ihm Gewalt angetan haben und sich an seinem Fleische mästen. Das einheitliche Bild erzeugt vordergründig den Eindruck einer einheitlichen Thematik.
Tatsächlich aber war dieser Roman die Verschmelzung von ursprünglich zwei Romanen und mehreren Themen.
Sie zeichnen sich schon in den ersten allgemeinen Notizen zum Ablauf des gesamten Zyklus ab: dort ist von der »Vertrautheit der Väter und der Söhne« in dieser neuen Empiregesellschaft die Rede und davon, daß das Kaiserreich alle »Begierden« und jede Form des »Ehrgeizes« entfesselt habe. Und diese »Orgie an Begierden und Ehrgeiz« bedeutet im ökonomischen Bereich ein hemmungsloses Vordrängen des Handels, »wahnsinnige Gewinne und Spekulationen«. Diese Wirklichkeitsstoffe und Themen ergeben eine neue Romanfigur, den Spekulanten in Abbruchsgeschäften, und Sujets für zwei Romane, einen über die großen Abbrucharbeiten in Paris und einen über die Familie eines Emporkömmlings.
In dem Rahmenplan, den Zola Anfang 1869 Lacroix überreichte, um ihn als Verleger seiner Reihe zu gewinnen, ist ebenfalls von zwei Romanen die Rede, einem über »das törichte und elegant liederliche Leben unserer vornehmen jungen Leute«, einem zweiten über »die verdächtigen und zügellosen Spekulationen des Zweiten Kaiserreichs«. In der näheren Ausführung wird Maxime, der Held des ersten Romans, als einer dieser »verweichlichten Gecken« bezeichnet, die »ein Charakteristikum« der Epoche seien. »Er ist das Produkt der Begierden seines Vaters und dieses rasch zusammengestohlenen Vermögens, das es ihm erlaubt, sich von fünfzehn Jahren an in allen Genüssen zu sielen … Er ist das kümmerliche und ungesunde Produkt einer Familie, die zu schnell gelebt hat und von Geld übersättigt ist. Der Vater wird im Sohne bestraft.« »Hier gibt es«, fährt Zola fort, »eine ganze Welt zu zeichnen und mit einem glühenden Eisen zu brandmarken.«
Der zweite Roman aber, in dessen Mittelpunkt auch in diesen ersten Überlegungen schon Aristide steht, soll das »Poem oder vielmehr die schreckliche Komödie der zeitgenössischen
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