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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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verdächtigen Licht eines anrüchigen Ortes erhellt«, wäre die Geschichte, die Zola schreiben will, nur dunkel.
    Hier geht es um eine Aufgabenstellung, die an Balzacs »Sittengeschichte« erinnert. Das moralische »Sujet« ist der Blickpunkt, unter dem die politischen und sozialen Zustände erfaßt werden. Doch letztlich kommt es dem Autor auf deren Enthüllung und Darstellung an, wenn auch wiederum nicht um ihrer selbst willen, sondern ihrer verhängnisvollen Auswirkungen auf die moralischen Eigenschaften wegen. Das geht auch aus den Formulierungen in dem schon mehrfach genannten Präsentierungsbrief an Ulbach vom Mai 1870 hervor. Dort spricht Zola davon, daß er »die rasch aus dem Staatsstreich emporschießenden Vermögen studiert, das ungeheure finanzielle Durcheinander, das ihm gefolgt ist, und die auf Vergnügungen losgelassenen Begierden, die mondänen Skandale«, und er versichert, daß er diesem Werk »eine ungeheure Exaktheit« geben werde, so wie er dann in seinen Rechtfertigungen immer wieder betont, er habe sich auf authentisches Material gestützt und noch nicht einmal gewagt, alles zu sagen, denn mehr als einmal sei er vor der Ungeheuerlichkeit der ihm bekannt gewordenen Tatsachen zurückgeschreckt. Wenn es allerdings gewünscht würde, könnte er die Namen nennen, sie wären sowieso noch in aller Munde.
    Als Beleg für die Richtigkeit seiner Behauptung, ihm habe authentisches Material vorgelegen, könnte man einen Artikel anführen, den Zola am 2. Oktober 1871 – also zur Zeit, da er an den letzten Kapiteln seines Romans noch schrieb – in »La Cloche« unter der Überschrift »Das Bedauern der Marquise« veröffentlichte, in dem er die Umtriebe der bonapartistischen Partei aufdeckt, die ja nach dem Sturz des Kaiserreichs in restaurativer Absicht munter einsetzten. Das dort geschilderte, offensichtlich authentische Begebnis deckt sich in seinen Grundzügen mit den Szenen, in denen im Roman Renées Wirkung auf ihre Umgebung beim Ball des Ministers und ihre Begegnung mit dem Kaiser auf dem Ball in den Tuilerien dargestellt werden. Die Marquise im Artikel träumt noch immer von den herrlichen, leider versunkenen Zeiten des Kaiserreichs mit seinen rauschenden Festen, und um sich zu trösten, gibt sie sich selbst zweimal in der Woche einen Erinnerungsabend. Sie zieht ihr Ballkleid an, immer das gleiche, einen Traum aus weißer Gaze, mit dem sie ihren großen Erfolg beim Kaiser errang. Er blieb vor ihr stehen und sprach: »Oh, Madame, Sie sind ja Venus in eigener Person!«, und die Spiegel ihres Salons werfen ihr ihre bewunderten weißen Schultern vielfältig als eine lange Reihe weißer Schultern zurück, durch die der Kaiser langsam hindurchschreitet. Auch Renée trägt auf dem Ball in den Tuilerien ein duftiges weißes Gazekleid, mit einem großen Ausschnitt. Auch für sie prägt sich unvergeßlich das Bild des Kaisers ein, vor dem sich, als er langsam durch den Saal schreitet, die »Schultern zu beiden Seiten zum Spalier reihten, während die schwarzen Fräcke unwillkürlich bescheiden einen Schritt zurücktraten«. Und wie vor der Marquise bleibt der Kaiser auch vor ihr stehen und murmelt seinem Begleiter einen denkwürdigen Satz zu: »Sehen Sie doch, General, da wäre eine Blume zu pflücken, eine seltene schwarzweiß gestreifte Nelke.« Noch auffälliger ist die Übereinstimmung zwischen einer anderen Passage dieses Artikels und der Schilderung des Balls im Ministerium Eugènes: »Am nächsten Tag, auf dem Ball des Ministeriums, war die schöne Frau Saccard bezaubernd … Und ihre Vertrauten verneigten sich mit einem diskreten, wissenden Lächeln und huldigten diesen schönen, im ganzen offiziellen Paris so bekannten Schultern, die die festen Stützen des Kaiserreichs waren. Sie trug ihr Dekolleté mit einer solchen Mißachtung etwaiger Blicke, schritt so ruhig und liebreizend in ihrer Blöße dahin, daß es kaum noch anstößig wirkte. Eugène Rougon, der große Politiker, der diesen entblößten Busen für noch beredter hielt als seine Reden vor der Kammer … trat an seine Schwägerin heran und sprach ihr seine Anerkennung aus … Fast der ganze Corps législatif war zugegen, und aus der Art, mit der die Abgeordneten die junge Frau betrachteten, versprach sich der Minister für den nächsten Tag einen schönen Erfolg in der heiklen Frage der Pariser städtischen Anleihe. Man konnte unmöglich gegen eine Macht stimmen, die aus dem Humus der Millionen eine Blüte wie diese Renée erblühen ließ

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