Die Beute - 2
Räubereien sein«. In den ersten Vorarbeiten zur endgültigen Ausführung jedoch erscheinen diese beiden Romane unter dem Thema: moralischer Verfall des Kaiserreichs, bereits zu einem vereint, und die beiden Zentralfiguren Aristide und Maxime haben ihre dominierende Stellung auch bereits an Renée, ihr gemeinsames Produkt, abgegeben; » … das moralische Sujet ist also folgendes: das schnell angehäufte Vermögen, die irren Vergnügungen, der Mißbrauch der Genüsse, die übersättigen und noch heftigere Genüsse suchen lassen, haben eine Frau in eine Art Rausch versetzt … da wirft das Nachlassen der Familienbande sie in die Arme ihres Stiefsohnes; aber als die Situation zu schrecklich wird, als Blanche [so hieß Renée zunächst – R. Sch.] gefangen ist zwischen Aristide, der mit ihr spekuliert, wie er mit den Häusern spekuliert hat, und Maxime, diesem jungen, gefühllosen Gecken, der nicht den Mut zu seinem Verbrechen hat … erwacht die Stimme ihrer Herkunft in ihr … sie leidet und wirft ihren Schmutz Vater und Sohn an den Kopf, die sie zu dem gemacht haben, was sie ist, der eine durch seinen übermäßigen Drang nach Gewinn, der andere durch seinen Hang zum Laster. Der ganze Mechanismus des Konflikts spielt also zwischen diesen drei Personen: Aristide, Maxime, Blanche. Aristide, der Spekulant, auf Gewinn erpicht, zeitigt Maxime, den Vertilger fertiger Vermögen, den maßlosen Genießer, und zusammen formen sie Blanche, die glühende Puppe … und diese Frau, dieses Produkt des Vaters und des Sohnes, wird zu einer Schmutzlache, die diese beiden Männer zwischen sich geworfen haben, der Vater wird von dem Sohn geohrfeigt in Gestalt der Frau, die er geschaffen hat.«
Mit dem moralischen Sujet, der Frau zwischen dem ungeliebten ältlichen Mann und dem Sohn als Liebhaber, das im ausgeführten Roman geflissentlich zum klassischen Phèdrestoff in Bezug gesetzt und als Vordergrundshandlung ausgeführt wird, verdeckt Zola die weitere Aufrechterhaltung und parallele Ausführung mehrerer in den ursprünglichen beiden Romanen geplanter Themen.
Doch als es darum geht, seinen Roman nach dem Einspruch des Staatsanwalts wegen der Inzestgeschichte gegen die Inkrimination wegen Unmoral und bewußt lasziver Übertreibung zu verteidigen, führt er die anderen Aspekte seines Romans als die eigentlichen Themen ins Feld: »Ich wollte die vorzeitige Erschöpfung einer Rasse zeigen«, schreibt er in der Vorrede zur Buchausgabe, »die zu schnell gelebt hat und zum Zwitter der verfaulten Gesellschaften führt; die wahnsinnige Spekulation einer Epoche, die sich in einem skrupellosen Temperament, das zu Abenteuern neigt, verkörpert; die nervöse Zerrüttung einer Frau, deren angeborene Begierden durch ein Milieu des Luxus und der Schande verzehnfacht werden …«
Hier liegt der Nachdruck nicht auf dem »moralischen Sujet«, sondern wir glauben vielmehr den Theoretiker des roman expérimental zu hören, der sich eine dreifache Aufgabe stellt: die Geschichte vom Wirken der physiologischen Gesetze und der Vererbung zu schreiben, eine historische Zeitstudie zu entwerfen und eine Milieubeschreibung zu liefern. Dr. Lucas mit seinen wissenschaftlichen Abhandlungen zur Vererbungslehre, Balzac, Taine sind die Vorbilder solchen Beginnens. Und in dem ungefähr gleichzeitigen Brief an Ulbach, mit dem Zola das Feuilleton zurückzieht, kommen fast wörtlich die gleichen Argumente der Rechtfertigung wieder. »›Die Beute‹ ist die ungesunde Pflanze, die auf dem Misthaufen des Kaiserreichs gewachsen ist, der Inzest, der in dem Erdreich der Millionen groß geworden ist. Ich wollte in dieser neuen ›Phèdre‹ [und der Hinweis auf den klassischen Stoff soll seine moderne Version legitimieren! – R. Sch.] zeigen, zu welch schrecklichem Zusammenbruch man kommt, wenn die Sitten verfault sind und die Familienbande nicht mehr existieren. Renée ist die wahnsinnig gewordene Pariserin, die durch Luxus und ein maßloses Leben ins Verbrechen geworfen wird, Maxime ist das Produkt einer erschöpften Gesellschaft, der Zwitter … mein Aristide ist der Spekulant … der an der Börse mit allem spielt, was ihm in die Hände fällt, Frauen, Kinder, Ehre, Straßenpflaster, Gewissen. Und ich habe«, schließt Zola seine Verteidigung, »mit diesen drei sozialen Ungeheuerlichkeiten versucht, eine Vorstellung von dem ungeheuren Sumpf zu vermitteln, in dem Frankreich versank.« Ohne diesen grellen Schein der Ausschweifung, der »das Zweite Kaiserreich mit dem
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