Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
du ein so gutes Herz finden.«
    Als sie innehielt, sich die Augen wischte und nach einem Übergang zu suchen schien, fragte Saccard geradeheraus: »Hast du mir etwas mitzuteilen?«
    »Ja, ich habe mich für dich in der bewußten Angelegenheit bemüht, und ich glaube, ich habe etwas gefunden … Aber in einem solchen Augenblick … Sieh, mir bricht das Herz.«
    Wieder trocknete sie sich die Augen. Saccard ließ sie ruhig gewähren, ohne ein Wort zu sagen.
    Dann faßte sie sich.
    »Es handelt sich um ein junges Mädchen, das man sofort verheiraten möchte«, sagte sie. »Das gute Kind hat Pech gehabt. Eine Tante ist da, die bereit wäre, ein Opfer zu bringen …«
    Sie brach ab, jammerte wieder, schluchzte ihre Worte hervor, als klage sie immerzu um die arme Angèle. Damit wollte sie ihren Bruder ungeduldig machen, ihn zu weiteren Fragen drängen, um nicht die ganze Verantwortung für das Angebot zu tragen, das sie ihm soeben gemacht hatte. Den Beamten überkam auch wirklich eine dumpfe Gereiztheit.
    »Geh, sprich doch endlich weiter!« sagte er. »Weshalb will man das junge Mädchen verheiraten?«
    »Sie kam frisch aus dem Pensionat«, begann die Kupplerin wieder mit klagender Stimme, »da hat ein Mann sie Verführt, auf dem Land, bei Verwandten einer ihrer Freundinnen. Ihr Vater ist gerade hinter diesen Fehltritt gekommen. Er wollte sie umbringen. Um das liebe Kind zu retten, hat die Tante ihre Partei ergriffen, und die beiden haben dem Vater etwas vorgeschwindelt, haben ihm gesagt, der Schuldige sei ein Ehrenmann und wünschte nichts sehnlicher, als die Verfehlung einer schwachen Stunde wiedergutzumachen.«
    »Demnach«, sagte Saccard überrascht und fast ärgerlich, »wird der Mann vom Lande also das junge Mädchen heiraten?«
    »Nein, das kann er nicht, er ist schon verheiratet.«
    Schweigen trat ein. Angèles Röcheln klang schmerzlicher durch die erschauernde Luft. Die kleine Clotilde hatte aufgehört zu spielen; mit ihren großen, nachdenklichen Kinderaugen sah sie Frau Sidonie und ihren Vater an, als hätte sie deren Worte verstanden.
    Jetzt ging Saccard zu kurzen Fragen über: »Wie alt ist das junge Mädchen?«
    »Neunzehn.«
    »Seit wann schwanger?«
    »Seit drei Monaten. Es gibt bestimmt eine Fehlgeburt.«
    »Und die Familie ist reich und achtbar?«
    »Altes Großbürgertum. Der Vater war höherer Beamter. Sehr beträchtliches Vermögen.«
    »Und das Opfer der Tante?«
    »Hunderttausend Francs.«
    Abermals entstand eine Pause. Frau Sidonie hatte aufgehört zu schluchzen, sie war ganz bei ihrem Geschäft, ihre Stimme hatte jetzt den metallischen Ton einer feilschenden Hausiererin. Ihr Bruder sah sie verstohlen an und fügte etwas zögernd hinzu: »Und du, was verlangst du?«
    »Das wird sich finden«, antwortete sie. »Du wirst mir gelegentlich auch einen Dienst erweisen.«
    Sie wartete ein paar Sekunden, und da er schwieg, fragte sie geradezu: »Nun? Wie entscheidest du dich? Die armen Frauen sind verzweifelt. Sie möchten einen Skandal vermeiden. Sie haben versprochen, dem Vater bis morgen den Namen des Schuldigen zu nennen … Wenn du einverstanden bist, werde ich ihnen durch einen Boten deine Visitenkarte schicken.«
    Saccard schien aus einem Traum zu erwachen; er zuckte zusammen und wandte sich furchtsam nach dem Nebenzimmer um, woher er ein leichtes Geräusch gehört zu haben glaubte.
    »Aber ich kann doch nicht«, sagte er angsterfüllt, »du weißt doch, daß ich nicht kann.«
    Frau Sidonie sah ihn durchdringend an, mit kalter und verächtlicher Miene. Das ganze Blut der Rougons, all seine brennenden Begierden wallten wieder in Saccard auf. Er nahm eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und reichte sie seiner Schwester, die sie in einen Umschlag schob, nachdem sie Saccards Adresse sorgfältig ausradiert hatte. Dann ging sie fort. Es war kaum neun Uhr abends.
    Alleingeblieben, preßte Saccard die Stirn an die eiskalten Fensterscheiben. Er vergaß sich so weit, daß er mit den Fingerspitzen den Zapfenstreich auf die Scheiben trommelte. Doch die Nacht war so dunkel, die Finsternis draußen ballte sich so unheimlich zusammen, daß ihm unbehaglich wurde und er ganz mechanisch wieder in das Zimmer ging, wo Angèle in den letzten Zügen lag. Er hatte sie vergessen gehabt und bekam einen furchtbaren Schreck, als er sie halb aufgerichtet in ihren Kissen fand; ihre Augen waren weit geöffnet, eine Woge neuen Lebens schien ihr in Wangen und Lippen gestiegen zu sein. Die kleine Clotilde saß auf dem Bettrand,

Weitere Kostenlose Bücher