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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Audienz, die ebenso verdächtig und undefinierbar waren wie sie selber. Ihr Bruder war gerade im Begriff, sie zu verlassen, als sie in verzweifeltem Ton murmelte: »Ach, wenn du nicht verheiratet wärest …« Dieser halbe Satz, nach dessen vollständigem und genauem Sinn Saccard nicht fragen mochte, machte ihn merkwürdig nachdenklich.
    Die Monate verstrichen, soeben war der Krimkrieg47 erklärt worden. Paris, das ein so weit entfernter Krieg nicht beunruhigte, stürzte sich noch hitziger in Spekulationen und galante Abenteuer. Mit in der Tasche geballten Fäusten verfolgte Saccard das Wachsen der tollen Sucht, die er vorausgesehen hatte. Die Hämmer, die in dieser Riesenschmiede das Gold auf dem Amboß bearbeiteten, erweckten Zorn und Ungeduld in ihm. Sein Geist und seine Willenskraft waren dermaßen angespannt, daß er wie im Traum lebte und, einem Nachtwandler am Rande der Dächer gleich, unter der Peitsche einer fixen Idee handelte. So war er überrascht und ärgerlich, als er eines Abends Angèle krank im Bett liegend fand. Sein häusliches Leben, das bisher mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks abgelaufen war, geriet in Unordnung, was ihn wie eine gegen ihn persönlich gerichtete Tücke des Schicksals erbitterte. Die arme Angèle klagte leise, sie lag im Schüttelfrost. Als der Arzt kam, war dieser offenbar recht beunruhigt; auf dem Treppenflur eröffnete er dem Gatten, seine Frau habe eine Lungenentzündung, er stehe für nichts ein. Von da an pflegte der Beamte die Kranke mit Geduld; er ging nicht mehr ins Büro, sondern blieb bei ihr und betrachtete sie, wenn sie, hochrot vor Fieber, mit keuchendem Atem schlief, mit einem unergründlichen Ausdruck. Frau Sidonie ermöglichte es trotz ihrer erdrückenden Arbeitslast, jeden Abend zu kommen, um der Kranken allerlei Tee zu kochen, auf deren Heilkraft sie schwor. Zu all ihren Gewerben gehörte auch noch das einer Krankenpflegerin aus innerer Neigung, denn sie hatte eine Vorliebe für Leiden, für Arzneien, für die ausgedehnten, schmerzerfüllten Gespräche an Sterbebetten. Auch schien sie jetzt zärtliche Freundschaft für Angèle zu empfinden; sie hatte Frauen gern, sagte ihnen tausend Schmeicheleien, zweifellos des Vergnügens wegen, das sie den Männern bereiten; sie umhegte sie mit der gleichen Sorglichkeit, mit der Kaufleute die Kostbarkeiten in ihren Schaufenstern behandeln, nannte sie »mein Liebchen, mein Schätzchen«, girrte, umschmachtete sie wie ein Liebhaber seine Geliebte. Obschon Angèle zu der Art Frauen gehörte, von der Sidonie nichts zu erhoffen hatte, tat sie ihr schön wie allen anderen, weil es sich nun einmal so gehörte. Seit die junge Frau bettlägerig geworden war, wurden Frau Sidonies Ergüsse rührselig, sie erfüllte das stille Zimmer mit ihrer aufopfernden Geschäftigkeit. Ihr Bruder sah ihr zu, wenn sie mit fest geschlossenen Lippen, wie versunken in einen Abgrund stummer Trauer, ab und zuging.
    Die Krankheit verschlimmerte sich. Eines Abends erklärte der Arzt, die Kranke werde die Nacht nicht überleben. Voller Besorgnis war Frau Sidonie schon früh gekommen. Mit tränenfeuchten Augen, in denen es zuweilen kurz aufleuchtete, blickte sie auf Aristide und Angèle. Als der Arzt gegangen war, schraubte sie die Lampe herunter; es wurde ganz still. Langsam trat der Tod in dieses heiße, feuchte Zimmer, in dem der unregelmäßige Atem der Sterbenden klang wie das zögernde Ticken einer Wanduhr, deren Werk in Unordnung geraten ist. Frau Sidonie kochte keinen Tee mehr, ließ der Krankheit ihren Lauf. Sie hatte sich vor den Kamin gesetzt, neben ihren Bruder, der mit zitternder Hand in der Glut stocherte und wider Willen von Zeit zu Zeit einen Blick auf das Krankenbett warf. Schließlich zog er sich, scheinbar erschöpft von der dumpfen Luft und dem jämmerlichen Anblick, in das Nebenzimmer zurück. Dorthin hatte man die kleine Clotilde verbannt, die auf einem Stück Teppich sehr artig mit ihrer Puppe spielte. Die Tochter lächelte dem Vater gerade zu, als Frau Sidonie von hinten her an ihn herantrat, ihn in eine Ecke zog und leise mit ihm sprach. Die Tür war offengeblieben. Man hörte das leichte Röcheln Angèles.
    »Deine arme Frau …«, schluchzte die Maklerin, »ich glaube, es geht bald zu Ende. Hast du begriffen, was der Arzt meinte?«
    Saccard senkte nur trübsinnig den Kopf.
    »Sie war eine gute Person«, fuhr sie fort, als wäre Angèle bereits tot. »Du kannst reichere Frauen finden, weltgewandtere Frauen, aber niemals wirst

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