Die Beute - 2
allem betrieb sie es aus einem natürlichen Gefallen an nicht ganz sauberen Geschäften, einem Hang zu Kniffen und Prozessen; außerdem holte sie eine Menge kleiner Vorteile dabei heraus; Mittagessen, wo es sich gerade bot, Zwanzigsousstücke, die man hie und da bekam. Doch der Hauptgewinn bestand in den vertraulichen Mitteilungen, die ihr überall zuteil wurden und sie guten Fängen und unverhofften Einnahmen auf die Spur brachten. Da sie bei anderen Leuten und in anderer Leute Angelegenheiten lebte, wurde sie zu einem wahren lebenden Register von Angebot und Nachfrage. Sie wußte, wo eine Tochter schleunigst verheiratet werden mußte, wo eine Familie dreitausend Francs brauchte, kannte einen alten Herrn, der gern bereit war, die dreitausend Francs zu leihen, allerdings gegen gute Bürgschaft und zu hohen Zinsen. Sie hatte von noch viel heikleren Dingen Kenntnis: vom Kummer einer von ihrem Gatten unverstandenen Blondine, die sich nach Verständnis sehnte; von dem heimlichen Wunsch einer besorgten Mutter, die ihre Tochter gut verheiraten wollte; von der Vorliebe eines Barons für Soupers in kleinem Kreis und für sehr junge Mädchen. Und mit einem blassen Lächeln trug sie all diese Wünsche und Angaben von Haus zu Haus; sie lief zwei Meilen, um eine Unterredung zu vermitteln; sie schickte den Baron zu der besorgten Mutter, bestimmte den alten Herrn, der bedrängten Familie die dreitausend Francs zu leihen, fand Tröstungen für die Blondine und einen Gatten, der es nicht so genau nahm, für das schnell zu verheiratende Mädchen. Sie hatte auch mit ganz großen Angelegenheiten zu tun. Angelegenheiten, über die sie völlig offen reden konnte und von denen sie allen Leuten, die ihr in den Weg liefen, die Ohren vollschwatzte: einem langen Prozeß, mit dessen Betreibung eine zugrunde gerichtete adlige Familie sie beauftragt hatte, und einer Schuld Englands an Frankreich aus der Zeit der Stuarts46, deren Betrag sich mit Zins und Zinseszinsen auf nahezu drei Milliarden belief. Diese Dreimilliardenschuld war ihr Steckenpferd; sie pflegte den Fall mit einem riesigen Aufwand an Einzelheiten zu erklären und eine regelrechte Geschichtsvorlesung dazu zu halten, wobei ihr die Röte der Begeisterung in die welken, für gewöhnlich wachsgelben Backen stieg. Zuweilen brachte sie zwischen einem Gang zum Gerichtsvollzieher und dem Besuch bei einer Freundin eine Kaffeemaschine oder einen Kautschukmantel an den Mann, verkaufte ein Stück Spitze, vermietete ein Klavier. Das waren ihre geringsten Sorgen. Schnell eilte sie dann in ihren Laden zurück, wo sie mit einer Kundin verabredet war, die sich eine Chantillyspitze ansehen wollte. Die Kundin kam und glitt wie ein Schatten in den verschwiegenen, verhängten Laden. Und es geschah nicht selten, daß gleichzeitig ein Herr durch den Torweg der Rue Papillon kam, um die Klaviere der Madame Touche zu besichtigen.
Wenn Frau Sidonie bei alledem kein Vermögen verdiente, so lag es daran, daß sie sehr oft aus Liebe zur Sache arbeitete. Da Prozessieren ihre ganze Freude war und sie über den Angelegenheiten Fremder die eigenen vergaß, ließ sie sich von den Gerichtsbeamten aussagen, was ihr übrigens noch einen Genuß bereitete, den nur Prozeßliebhaber kennen. Alles Weibliche war allmählich in ihr abgestorben, sie besorgte nur noch die Geschäfte anderer, war ein Makler, der von früh bis spät auf dem Pflaster lag, in dem berühmten Korb die zweideutigsten Waren mitschleppte, alles mögliche verkaufte, von Milliarden träumte und beim Friedensrichter für eine Lieblingskundin in einem Streit um zehn Francs auftrat. Klein, dürr, blaß, war sie völlig zusammengeschrumpft in ihrem unansehnlichen schwarzen Kleid, das wie aus einer Advokatentoga geschneidert wirkte, und wenn man sie so an den Häuserreihen entlangeilen sah, hätte man sie für einen in Frauenkleider gesteckten Laufburschen eines Notars halten können. Ihr Gesicht hatte die kränkliche Blässe des Stempelpapiers. Auf ihren Lippen lag ein erloschenes Lächeln, während ihre Augen im Tohuwabohu der Geschäfte und Sorgen aller Art umherzuirren schienen, mit denen sie sich das Gehirn vollstopfte. Im übrigen war sie schüchtern und taktvoll im Umgang, verbreitete irgendwie die Atmosphäre eines Beichtstuhls, einer Hebammenstube und gab sich sanft und mütterlich wie eine Nonne, die, nachdem sie selber den Freuden dieser Welt entsagt hat, Mitleid für die Leiden des Herzens empfindet. Nie sprach sie von ihrem Mann, ebensowenig von
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