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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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als verliebt, unbesonnen – alles durch seine Frau. Sie war, ohne es zu wissen, seine Mitarbeiterin, seine Helfershelferin. Ein neues Gespann, eine Toilette für zweitausend Taler, eine Willfährigkeit gegen irgendeinen Anbeter erleichterten, ja entschieden oft seine einträglichsten Geschäfte. Häufig gab er auch vor, überlastet zu sein, und schickte Renée zu einem Minister oder einem höheren Beamten, um eine Ermächtigung zu erwirken oder einen Bescheid einzuholen. Dann pflegte er zu sagen: »Mach deine Sache brav!«, in einem halb spöttischen, halb schmeichelnden Ton, der nur ihm eigen war. Kam sie mit dem erwünschten Erfolg zurück, so rieb er sich die Hände und wiederholte ein Mal übers andere sein berühmtes »Du hast deine Sache wirklich brav gemacht!« Renée lachte. Er war viel zu rührig, als daß er sich eine Frau Michelin gewünscht hätte. Ihm gefielen einfach die derben Scherze, die schlüpfrigen Unterstellungen. Hätte Renée »ihre Sache nicht brav gemacht«, so hätte er sich übrigens lediglich geärgert, die Gefälligkeit des Ministers oder des hohen Beamten tatsächlich bezahlt zu haben. Leute übers Ohr zu hauen, ihnen weniger zu geben, als ihr Geld wert war, machte ihm Vergnügen. Oft sagte er bei sich: »Wenn ich eine Frau wäre, würde ich mich vielleicht verkaufen, aber niemals die Ware liefern. Das wäre doch zu dumm.«
    Diese tolle Renée, die eines Nachts wie die exzentrische Fee aller weltlichen Lust am Pariser Himmel erschien, war die unergründlichste aller Frauen. Wäre sie im Vaterhaus erzogen worden, so hätte die Religion oder irgendein anderes Nervenberuhigungsmittel die Begierden abgestumpft, von denen sie hie und da gepeinigt wurde. Ihr Denken war bürgerlich, sie war absolut rechtschaffen, hatte eine Vorliebe für logische Folgerungen, Ehrfurcht vor Himmel und Hölle, eine Unmenge von Vorurteilen; sie war ganz ein Kind ihres Vaters, ein Kind dieses ruhigen, verständigen Menschenschlages, in dem die häuslichen Tugenden blühen. Und in eben diesem Wesen keimten und entfalteten sich merkwürdige Phantastereien, unaufhörlich aufsteigende Begierden, geheime Wünsche. Bei den Visitandinnen, wo sie ungebunden war und sich ihr Geist in den mystischen Wonnen der Kapelle und den sinnlichen Freundschaften mit ihren kleinen Gefährtinnen erging, hatte sie sich selber eine wunderliche Erziehung gegeben, hatte mit der ihr eigenen Unbefangenheit das Laster kennengelernt und dabei ihr junges Hirn derart verwirrt, daß sie eines Tages ihren Beichtvater in die größte Verlegenheit brachte durch das Geständnis, sie habe während der Messe ein unsinniges Verlangen verspürt, aufzuspringen und ihn zu küssen. Dann wieder schlug sie sich an die Brust und erbleichte beim Gedanken an den Teufel und seine Pechpfannen. Der Fehltritt, der später zu ihrer Heirat mit Saccard führte, diese rohe Vergewaltigung, die sie mit einer Art schreckensvoller Erwartung über sich hatte ergehen lassen, erfüllte sie nachher mit Selbstverachtung und trug viel zur Haltlosigkeit ihres ganzen Lebens bei. Sie dachte, sie brauche nicht mehr gegen das Böse zu kämpfen, es sei nun einmal in ihr, und logischerweise sei sie dazu berechtigt, es bis auf den Grund kennenzulernen. Es war mehr Neugier als Begierde. In die Welt des zweiten Kaiserreichs hineingeworfen, ihren eigenen Phantasien überlassen, mit Geld versehen, zu ihren auffallendsten Extravaganzen ermutigt, ließ sie sich gehen, bereute es dann wieder, bis es ihr schließlich gelang, ihr schwächer und schwächer werdendes Ehrgefühl zu ertöten, immer aufgepeitscht und vorwärtsgetrieben von dem unersättlichen Bedürfnis zu wissen und zu empfinden.
    Im übrigen war sie nicht anders als alle anderen. Sie plauderte gern mit Flüstern und Gelächter über so ungewöhnliche Fälle wie die innige Freundschaft zwischen Suzanne Haffner und Adeline d’Espanet, das heikle Gewerbe von Frau de Lauwerens, die zu festen Preisen erhältlichen Küsse der Gräfin Vanska. Aber noch besah sie sich diese Dinge von weitem, mit der unklaren Vorstellung, sie vielleicht auch einmal zu kosten, und das unbestimmte Verlangen, das in schlimmen Stunden in ihr aufstieg, steigerte noch jene unruhvolle Angst, jenes verstörte Suchen nach einem einzigartigen, köstlichen Genuß, der nur ihr vorbehalten sein sollte. Ihre ersten Liebhaber hatten sie nicht verwöhnt, dreimal hatte sie geglaubt, von einer großen Leidenschaft ergriffen zu sein; die Liebe flammte in ihrem Kopf auf wie ein

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