Die Beute - 2
Feuerwerk, dessen Funken nicht bis in ihre Seele drangen. Einen ganzen Monat über gebärdete sie sich wie toll, zeigte sich in ganz Paris mit dem Herrn ihres Herzens; dann verspürte sie eines Morgens inmitten der stürmischsten Zärtlichkeit eine erdrückende Stille, eine unendliche Leere. Der erste, der junge Herzog de Rozan, war nur eine flüchtige Leidenschaft gewesen. Renée, der er durch sein sanftes Wesen und seine ausgezeichnete Haltung aufgefallen war, fand ihn im têteà tête91 eine absolute Null, farblos, sterbenslangweilig. Herr Simpson, der amerikanische Gesandtschaftsattaché, Rozans Nachfolger, hätte sie beinahe geschlagen und blieb ihr deshalb länger als ein Jahr interessant. Dann nahm sie den Grafen de Chibray, einen Generaladjutanten des Kaisers, einen schönen, eitlen Menschen, der schon im Begriff war, sie seltsam zu langweilen, als es der Herzogin de Sternich einfiel, sich in ihn zu verlieben und ihn an sich zu ziehen. Da weinte Renée ihm nach, gab ihren Freundinnen zu verstehen, ihr Herz sei gebrochen und sie werde nie wieder lieben. So geriet sie an Herrn de Mussy, den unbedeutendsten Menschen der Welt, einen jungen Mann, der seinen Erfolg in der Diplomatie lediglich der Tatsache verdankte, daß er mit besonderer Anmut den Kotillon zu leiten verstand; sie wußte niemals so recht, wieso sie sich diesem Mann hingegeben hatte, und doch behielt sie ihn lange, von Trägheit befallen, angeekelt vom Gedanken an irgendeinen Unbekannten, den man schon in der ersten Stunde völlig durchschaut, und verschob die Mühe eines Wechsels auf die zufällige Begegnung mit einem außerordentlichen Abenteuer. Mit achtundzwanzig Jahren war sie schon entsetzlich blasiert. Die Langeweile war ihr um so unerträglicher, als ihre bürgerliche Rechtlichkeit Stunden, in denen sich die junge Frau langweilte, dazu benutzte, sie anzuklagen und zu beunruhigen. Sie verriegelte ihre Tür und bekam eine furchtbare Migräne. Tat sich die Tür dann wieder auf, so kam aus ihr mit großem Getöse eine Flut von Seide und Spitzen zum Vorschein, ein Geschöpf der Freude und des Luxus, ohne jede Bekümmernis und mit blanker Stirn.
Dennoch hatte es in ihrem banalen und mondänen Dasein einen Roman gegeben. Als sie sich eines Tages in der Abenddämmerung zu Fuß aufgemacht hatte, um ihren Vater zu besuchen, der den Wagenlärm vor seiner Tür nicht leiden konnte, bemerkte sie auf dem Heimweg über den Quai Saint Paul, daß ihr ein junger Mann nachging. Es war heiß, der Tag verhauchte in einer Stimmung süßer Verliebtheit. Renée, der man bisher nur zu Pferd in den Alleen des Bois de Boulogne gefolgt war, fand das Abenteuer interessant und fühlte sich geschmeichelt wie durch eine neuartige, wenn auch etwas rohe Huldigung, die aber gerade durch ihre Ungehobeltheit einen prickelnden Reiz auf sie ausübte. Statt gleich nach Hause zu gehen, nahm sie einen Umweg durch die Rue de Temple und zog ihren Verehrer über die Boulevards hinter sich her. Indessen wurde der Mann mutiger und bedrängte sie schließlich so, daß sie, etwas bestürzt, den Kopf verlor, in die Rue du FaubourgPoissonnière einbog und sich in den Laden ihrer Schwägerin flüchtete. Der Mann trat hinter ihr ein. Frau Sidonie lächelte, schien zu verstehen und ließ die beiden allein. Und als Renée ihr folgen wollte, hielt der Unbekannte sie zurück, sprach artig, aber bewegt auf sie ein und erlangte ihre Verzeihung. Es war ein Angestellter, der sich Georges nannte und nach dessen Familiennamen sie niemals fragte. Zweimal traf sie sich mit ihm; sie ging durch den Laden, er durch die Rue Papillon. Diese Zufallsliebe, auf der Straße gefunden und genehmigt, wurde eine ihrer ungetrübtesten Freuden. Immer wieder dachte sie daran zurück, ein wenig beschämt, aber mit einem eigentümlichen Lächeln des Bedauerns. Frau Sidonie erreichte es durch dieses Abenteuer, endlich zur Mitschuldigen der zweiten Frau ihres Bruders zu werden, eine Rolle, die sie seit dem Hochzeitstage anstrebte.
Die arme Frau Sidonie hatte eine Enttäuschung erlebt. Als sie die Heirat betrieb, hoffte sie, Renée ein wenig mitzuheiraten, eine Kundin aus ihr zu machen, eine Menge Vorteile aus ihr herauszuschlagen. Mit einem einzigen Blick schätzte sie die Frauen ab wie Kenner die Pferde. So war ihre Verblüffung groß, als sie, nachdem sie dem Ehepaar einen Monat Zeit gelassen hatte, sich einzurichten, begriff, daß sie schon zu spät kam; denn sie sah, daß bereits Frau de Lauwerens mitten im Salon
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