Die Beute
Schätzchen«, sagte sie. »Lass es krachen.«
Zach zerknüllte gelangweilt seine Lunchtüte.
»Also, kommt«, sagte Audrey. »Wenn wir uns beeilen, könnten wir ihn noch vor dem Läuten finden. Allez! Das wird eine einfache Sache.«
Und das wurde es. Brian wirkte überrascht, als Jenny auf ihn zukam – aber seine Augen leuchteten, und Jenny wurde schlagartig klar, dass er noch kein anderes Date hatte.
Es war seltsam, dass ein Zwölftklässler sie so ansah. Jenny fragte sich, ob ihr Vorhaben fair war. Sie dachte an Abas Grundsätze, die sie auf ihren Badezimmerspiegel
geklebt hatte. Ein schlichtes, handgeschriebenes Schild mit der Aufschrift:
Tu nichts Böses.
Hilf, wenn du kannst.
Vergelte Böses mit Gutem.
Während des Spiels war Jenny klar geworden, wie notwendig es war, diese Grundsätze zu befolgen, wenn die Welt nicht so werden sollte, wie Julian sie sah. Sie hatte sich vorgenommen, danach zu leben. Dazu schien die Verabredung ganz und gar nicht zu passen.
Aber jetzt war es zu spät. Audrey erklärte Brian gerade neckisch, weshalb Jenny gekommen war. Und dann war alles arrangiert.
»Ich hole dich dann um sieben ab«, sagte Brian aufgeregt und sah ihr in die Augen und ließ seinen Blick über ihr Haar schweifen. Jetzt konnte sie ihm kaum mehr sagen, dass sie ihre Meinung geändert hatte.
»In Ordnung«, murmelte Jenny schwach und ließ sich von Audrey wegführen.
Was habe ich getan? Ich hab nicht einmal ein Kleid …
Es läutete.
Jenny, Michael und Audrey hatten zusammen Algebra, dann ging Jenny in ihren Computer-Kurs. Dort wurde Michaels Theorie über das Gehirn und seine Modelle auf eine harte Probe gestellt.
Es begann damit, dass die Tastatur verrückt spielte. Jennys Partner fehlte, daher saß sie allein an ihrem Computer, einer alten lahmen Ente.
Als sie ihren Namen eintippen wollte, klemmte die J- Taste. Sie hatte sie kaum mit dem rechten Zeigefinger berührt, und schon zog sich ein J nach dem anderen endlos über die Zeile – bis an den rechten Rand des Dokuments, ja, sogar darüber hinaus bis an den Rand des Bildschirms.
Der Bildschirm flatterte auf der rechten Seite und der Rest von Jennys Dokument bewegte sich ruckartig nach links – und verschwand. Entsetzt riss sie die Augen auf. Ihr erster Gedanke war, dass sie den Computer kaputtgemacht hatte. Jenny liebte Computer, im Gegensatz zu Dee, die alles, was mit Technik zu tun hatte, hasste, aber sie musste zugeben, dass sie durchaus etwas Seltsames an sich hatten. Als könnten jederzeit unerwartete Dinge auf dem Bildschirm geschehen. Nachdem sie als Kind einmal einen ganzen Tag lang mit dem PC ihres Dads gespielt hatte, träumte Jenny manchmal immer noch von bizarren Szenen und unmöglichen Spielen auf dem Monitor. Als sei der Computer nicht nur eine Maschine, sondern eine Verbindung ins Unbekannte.
Verblüfft beobachtete sie, wie die J -Reihe sich immer weiterzog. Und weiter und weiter. Da stimmte etwas nicht – das konnte gar nicht sein. Wo war der Zeilenumbruch? Die Buchstaben müssten doch einfach in die nächste Zeile rutschen.
Aber das taten sie nicht. Sie prallten auf den Rand des Bildschirms, ebbten etwas ab und wogte dann wieder an den Rand. Wie eine Schlange. Oder etwas Pulsierendes.
Jennys Fingerspitzen kribbelten, sie spürte einen Schauder zwischen den Schulterblättern. Da stimmte etwas nicht. Wie konnten die Buchstaben überhaupt das Dokument verlassen? Wie war das möglich? Jenny fühlte sich plötzlich meilenweit entfernt von Raum und Zeit. Es war, als hätte sie sich irgendwo im virtuellen Raum verirrt. Und sie hatte Angst vor dem, was sie dort vielleicht sehen würde.
JJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJ
Seit die Taste zu klemmen begonnen hatte, drückte Jenny ständig auf Escape. Jetzt schlug sie auf Enter, um mit einem Absatz die Reihe zu unterbrechen. Nichts geschah.
JJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJ
Oh Gott, was war hier los? Wohin steuerten die J? Auf etwas zu, das sich meilenweit entfernt von ihrem ursprünglichen Dokument befand; auf etwas, das einfach nicht da sein konnte, weil gar kein Platz dafür war; auf etwas jenseits aller möglichen Ränder. Es war, als segle sie selbst über den Rand der Welt hinaus.
Verzweifelt durchforstete sie ihr Gehirn nach einem Code, um die Bildschirmanzeige zu löschen. Nichts. Sie drückte die Unterbrechungstaste. Nichts. Dann, die Zähne in die Unterlippe gebohrt, drückte sie Control/Alt/Delete.
Diese Kombination hätte
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