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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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klügsten und befähigtesten seiner vier lebenden Söhne selbst von der Thronfolge ausgeschlossen hatte. Nur weil dieser einen Buckel aufwies! Aber wo stand geschrieben, daß eine derartige Verunstaltung einen Herrscher am weisen Regieren hinderte? Nun ja, der Buckel war nicht der einzige Hinderungsgrund gewesen. Karls damalige Gemahlin Hildegard hatte ihn schließlich auch bedrängt, ihren eigenen Söhnen den Vorrang einzuräumen. Hildegard hatte er nie etwas abschlagen können. In diesem Fall war das ein Fehler gewesen.
    Karls Vorschlag, die Kutte abzulegen, hatte Pippin zwar abgelehnt, doch der König hoffte, seinen Ältesten irgendwann wieder an den Hof zurückzuholen. Trotz seines Buckels hielt er ihn für den einzigen wahrlich würdigen Nachfolger. Kaiser Pippin, dachte er, das hätte sich mein Vater wohl nie vorstellen können! Und zum ersten Mal bedauerte er, einen anderen Sohn, den einstigen Karlmann, in Pippin umbenannt zu haben.
    Gerswind fand Hruodhaid nach dem Gespräch mit dem König in Tränen aufgelöst in ihrem gemeinsamen Schlafgemach.
    »Du hast gesagt, ich sei ein Kind der Liebe«, schluchzte Karls Tochter, »aber ich hatte ja keine Ahnung, von was für einer Liebe!«
    Zwischen Bruder und Schwester, dachte Gerswind plötzlich ziemlich ungehalten.
    »Es ist eine so traurige Geschichte!« fuhr Hruodhaid fort. Zunächst atmete Gerswind erleichtert auf. Eine Geschichte war Geschichte, war Vergangenheit, also abgehandelt. Es war dem König offensichtlich gelungen, die Tochter wieder für sich einzunehmen. Das hatte sie, Gerswind, doch auch gewünscht und gefördert! Weshalb verspürte sie dann plötzlich Wut?
    Sie staunte über den Grimm, der sich mit einem Mal ihrer bemächtigt hatte. Warum machen wir es ihm alle nur so leicht! Karl kann sich offenbar alles erlauben, und wir sehen es ihm auch noch nach! Er brauchte nur eine Träne zu zerquetschen, und schon wurde auch sie wieder weich und ließ sich auf sein Freundschaftsangebot ein. Er hatte sich bei Pippin entschuldigt, ihm die Rückkehr an den Hof angeboten, und schon verzieh dieser beglückt dem Vater alles, was der ihm einst angetan hatte, und entdeckte auch noch eine Zuneigung zu seinem König, dem er einst nach dem Leben getrachtet hatte. Und jetzt hatte Karl Hruodhaid offensichtlich so gerührt, daß sie sogar Verständnis für die Ungeheuerlichkeit aufzubringen schien, der sie ihr Leben verdankte. Wie schafft er es nur, daß alle unsere Vorsätze zusammenbrechen, wenn er mit uns spricht?
    Sie gab sich selbst die Antwort. Karls Überzeugungskraft speiste sich nicht aus raffiniert ausgeklügelten Strategien und Abwägungen, sondern hauptsächlich aus der Art, wie er seinem jeweiligen Gegenüber den Eindruck vermittelte, wichtig und ernst genommen zu werden. War sie sich selbst soeben nicht auch als der bedeutungsvollste Mensch in seinem Leben vorgekommen? Zweifellos hatte er Hruodhaid das gleiche vermittelt. Und Pippin auch. Eine so einfache Strategie! Und sie wirkte immer – auch bei ihr selbst. Mit Atlas hatte sie Karl verglichen, dachte sie, aber hatte Herakles nicht aufgezeigt, welch schlichten Gemüts dieser Atlas eigentlich war?
    »Erzähl!« forderte sie Hruodhaid gereizt auf.
    Unter weiterem Schluchzen und gelegentlichem Stottern teilte ihr Hruodhaid mit, was ihr der König anvertraut hatte. Daß es in seinem Leben keine Frau gab oder auch noch gebe, die seinem Herzen näherstehe als seine Schwester.
    Sieh an, dachte Gerswind voller Zorn, sieh an! Einen solchen Satz hätte sie gern selbst aus Karls Mund gehört! Dann hätte sie gewiß die Kraft gefunden, den König voller Verachtung endgültig abzuweisen und ihn aus ihrem Herzen herauszureißen. Jetzt tat es ihr leid, abgelehnt zu haben, bei diesem Gespräch anwesend zu sein.
    Dies sei schon immer so gewesen, fuhr Hruodhaid fort, und Gisela sei es mit ihm genauso ergangen. Schon in frühester Jugend hätten sie einander auf das innigste geliebt und entsetzlich darunter gelitten, daß sie vom selben Elternpaar abstammten. Doch sie hatten sich immer um Tugendhaftigkeit bemüht – bei diesem Wort wandte Gerswind angewidert das Gesicht ab –, hätten sich bezwungen und es vermieden, allein zu sein, um dieser keineswegs geschwisterlichen Neigung nicht doch nachzugeben. Gerswind schäumte innerlich: Wie gutgläubig Hruodhaid doch ist! Karl nimmt sich alles, was er haben will! Weltliche und kirchliche Gesetze werden ihn bestimmt nicht davon abgehalten haben, seine Schwester auch schon

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