Die Beutefrau
sagen können. Nur, daß er sich danach, trotz der für seine Knochen unangenehmen Haltung, guten Mutes und erfrischt erhob. Es würde alles gut werden. Wie immer.
Ihm war aufgefallen, daß Adalinde, die Nichte seines Kämmerers, eine etwas scheue, aber sehr liebenswürdige Siebzehnjährige, bei den Abendmahlzeiten seit einiger Zeit an einem Tisch unmittelbar unterhalb des Podests saß, auf dem er mit den Seinen tafelte, und ihn offenbar ununterbrochen ansah. Jedenfalls senkte sie jedesmal die Lider, wenn er zu ihr hinschaute. Bei dem Gedanken an die glatte Haut und den straffen Busen des Mädchens regte sich etwas in seinen Lenden. Eilig verließ er die Kirche. Vermutlich würde sich Regina über eine kurze Aufwartung freuen.
»Ich soll dir von deiner Mutter Grüße überbringen.«
Wie angewurzelt blieb Gerswind auf dem Flur stehen. Carolino näherte sich ihr lächelnd. »Und dir sagen, daß es ihr gutgeht.«
»Wo … wo …«
Es war selten, daß Gerswind die Worte fehlten. In diesem Augenblick verstand sie zum ersten Mal wirklich, wie es Hruodhaid so oft zumute gewesen sein mußte.
»Nicht hier«, flüsterte Carolino. »Hier haben die Wände Ohren.« Gerswind blickte sich um, als erwartete sie, plötzlich riesige Hörtrichter aus den getünchten Mauern herauswachsen zu sehen. »Nach der Mittagsstunde. Beim Bärenzwinger.«
Er ging leise pfeifend an ihr vorbei. Nur einen Augenblick später erschien der König auf dem Gang.
»Nanu!« entfuhr es ihm. »Bist du aus parischem Marmor oder echt?«
Erst jetzt rührte sich Gerswind.
»Karl«, flüsterte sie heiser. »Kann ich mit dir sprechen?«
»Aber gewiß!« erwiderte er aufgeräumt, stieß die Tür zu seinem Gemach auf und ließ sie vorgehen. »Du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen. Komm, setz dich. Was ist los?«
»Was weiß dein Sohn von meiner Mutter?«
Karls Augen verengten sich.
»Was hat er dir gesagt?«
»Wo hat er sie gesprochen?«
»Was möchtest du denn gern hören?«
»Was weißt du von meiner Mutter?«
»Möchtest du das wirklich wissen?« Karl sah sie eindringlich an, während er sich auf einem Stuhl niederließ.
»Welches verlassene Kind will keine Nachricht von seiner Mutter?«
»Bist du wirklich ein verlassenes Kind?«
»Welche Geisel will nicht hören, wie es ihren Angehörigen geht?«
»Auch wenn sich die Angehörige eines Verbrechens schuldig gemacht hat?«
»Welches Verbrechens?«
Karl erhob sich von seinem Stuhl und setzte sich neben Gerswind auf die Besucherbank.
»Meine Kleine«, sagte er liebevoll. »Dies ist kein Spiel. Laß uns damit aufhören. Deine Mutter wiegelt dein Volk gegen mich auf, und sie hat die Nordmannen zu Hilfe gerufen. Deine Mutter ist zu den Abodriten gegangen. Die haben sie festgehalten, um sie mir auszuliefern, damit ich ihrem Treiben ein für allemal ein Ende bereite. Aber mein Sohn Karl hat sie einfach gehen lassen. Du weißt, weshalb.«
»Er hätte sie herbringen sollen«, murmelte Gerswind. Sie staunte über sich selbst. Jetzt hatte sie nach so vielen Jahren endlich zuverlässige Nachricht über ihre Mutter, doch es wollte sich keine rechte Freude in ihrem Herzen regen. Bang fragte sie sich, ob sie sich irgendwann in der Zukunft zwischen Karl und der Mutter, an die sie sich nicht mehr erinnerte, würde entscheiden müssen.
»Was kann ich tun?« fragte sie mit ungewöhnlich zaghafter Stimme.
Karl seufzte. »Im Augenblick nichts«, antwortete er. »Sie ist wieder untergetaucht. Irgendwann wird sie sich irgendwo wieder zeigen. Wenn wir Glück haben – wir?« fragte er mit einem Seitenblick auf Gerswind. In diesem Augenblick fiel es ihr leicht, sich für Karl zu entscheiden, für den Hof, an dem sie lebte. Sie nickte.
»Wenn wir also Glück haben, erhalten wir davon rechtzeitig Kenntnis. Und dann wäre es gut, wenn du mit ihr redest.«
Gedankenverloren streichelte er ihre Hand. »Du lebst schon so lange hier am Hof. Du weißt, daß ich kein mordgieriger, eroberungslüsterner Schlächter bin, der ein Volk ins Verderben stürzen will. Auch wenn ich Schreckliches getan habe, ich weiß, damals in Verden … aber auch ich habe dazugelernt.«
»Karl?« Gerswinds Stimme klang sehr entschlossen.
»Ja, meine Freundin?«
»Das Capitulare Saxonicum ist immer noch zu streng. Nach allem, was ich über mein Volk weiß, und das ist nicht sehr viel«, setzte sie hinzu, »wäre es mit mehr Freiheiten leichter zu handhaben. Du zwingst es unter ein Joch, und das ist nicht gut.«
»Sagt
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