Die Beutefrau
langem«, entgegnete Pippin leise. »Das weißt du doch. Wir haben zum ersten Mal wie Vater und Sohn miteinander gesprochen. Ich habe ihm einiges abzubitten und verstehe jetzt erst, wie sehr er unter den politischen Zwängen gelitten hat. Meine Mutter war seine erste große Liebe gewesen, aber seine Mutter hatte ihn gezwungen, sie zu verleugnen, damit er diese Langobardenprinzessin Desiderata heiraten konnte.« Pippin verzog das Gesicht ein wenig, ehe er fortfuhr: »Mein Vater hat sich dafür entschuldigt, daß er mich zurückgesetzt hat, und mich gefragt, ob ich die Kutte ablegen, an den Hof zurückkehren und jetzt auch meinen Teil der Verantwortung für das Reich tragen möchte. Aber das werde ich nicht tun. Mein Leben ist hier.« Ein Schatten flog über sein Gesicht. »Er scheint nicht mehr so viele Hoffnungen in meinen Bruder Karl zu setzen. Kannst du mir erzählen, wodurch sich dieser den Unmut des Vaters zugezogen hat?«
Hastig schüttelte Gerswind den Kopf. Sie sei ja selbst schon länger nicht am Hof gewesen, sagte sie, überrascht, daß Pippin, der stets vermieden hatte, über die Königsfamilie überhaupt nur zu reden, plötzlich Wißbegierde über die Vorgänge am Hof an den Tag legte.
Karls Unmut mit seinem gleichnamigen Sohn hatte jedoch noch einen anderen Bezug zu Gerswind, als sie vermutete. Über den dummen Heiratswunsch dachte der König gar nicht mehr nach. Aber es ärgerte ihn immer noch maßlos, daß der junge Mann Gerswinds Mutter in die Freiheit entlassen und nicht nach Paderborn mitgenommen hatte.
Diese Frau war gefährlicher als ein verwundeter Auerochs! Wie er von gefangenen Sachsen wußte, reichte schon das Gerücht über Gevas bloße Anwesenheit, um die bekehrten Heiden wieder zu den Waffen greifen zu lassen. Und wie einst ihr Gemahl, der inzwischen friedvoll und fromm gewordene Widukind, war sie nicht zu fassen, weil sie zwischen Nordmannen und Sachsen hin- und herreiste, beide Völker gegen Karl aufstachelte, aber selbst nie auf dem Schlachtfeld erschien. Es war nur eine Frage der Zeit, wann Gevas Familie, diese Wikinger, die Grenzen seines Reichs bedrohen und über die Küsten ins Land einfallen würden. Wenn das Sachsenland bis dahin nicht endgültig befriedet war, könnte Karls Werk, das seines Vaters Pippin und seines Großvaters Karl Martell gänzlich zunichte gemacht werden und das noch junge Christentum des Westens untergehen, bevor es richtig Wurzeln geschlagen hatte. Weil eine unversöhnliche Frau unablässig Öl ins Feuer goß. Gerswinds Mutter.
Sohn Karl hatte das nicht begriffen und nur in seinem eigenen Interesse gehandelt. Zweifellos würde er Gerswind nach ihrer Rückkehr an den Hof mit seiner noblen Geste beeindrucken wollen. Bedauernd mußte der König feststellen, daß ihm der junge Mann doch nicht so ähnlich war, wie er immer geglaubt hatte. Ihm fehlte der politische Weitblick, und er hatte eine Schwäche offenbart, die sich kein Herrscher des Frankenreichs leisten durfte. Nicht nur, daß er Persönliches mit Politischem vermischt hatte, er hatte sich überdies ausschließlich von seinen Gefühlen leiten lassen, statt kühl berechnend und besonnen abzuwägen.
Auch deshalb hatte der König Abstand davon genommen, Karl weiterhin als seinen Thronfolger aufzubauen. Er verabschiedete sich von seiner ursprünglichen Vorstellung, diesem ältesten Sohn seiner geliebten Hildegard dereinst jene Kaiserkrone zu vererben, die er in einigen Jahren selbst zu tragen gedachte.
In der Geschichte dürfte es nicht oft vorgekommen sein, daß Königsweihen einem Mann eine noch glänzendere Zukunft verbauten. Doch wenn der junge Karl in einem Jahr in der Peterskirche zu Rom gekrönt wurde, würde er nach dem Tod eines Königs Karl wie auch seine Brüder nur über einen Reichsteil regieren. Karl war froh, daß die Entscheidung, welcher seiner Söhne Thronfolger eines späteren unteilbaren Kaiserreichs werden sollte, noch in weiter Ferne lag. Er fühlte sich gesund und würde gewiß noch lange Zeit leben. Gott würde ihn wissen lassen, wann die Zeit reif war. War er nicht jetzt schon mächtig genug, um sich selbst die Kaiserkrone aufzusetzen? Gewiß, doch derzeit waren die Folgen noch unabsehbar, wenn er sich in dieser Sache der Abhängigkeit des Heiligen Stuhls entzog und Byzanz vor vollendete Tatsachen stellte!
Aber nicht nur der junge Karl, sondern auch er, der Ältere, hatte einen großen Fehler begangen. Nach dem Gespräch mit seinem Ältesten in Prüm sah er ein, daß er den
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