Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
auf seinem Stuhl weit vor, stützte die Ellenbogen auf die Knie und vergrub sein Gesicht in beiden Händen. Dann begann sein ganzer Körper zu zucken.
    Der König weinte.
    Gerswinds Vorsatz löste sich auf. Rasch durchschritt sie den Raum, kniete sich neben Karl nieder und legte die Arme um ihn. »Mein armer König«, murmelte sie.

11
    Überraschungen
    Die Jahre 799 und 800
    Langsam hob Karl das Haupt und musterte Gerswind aus geröteten Augen.
    »Du scheust nicht vor mir zurück?« flüsterte er ungläubig und nahm ihre beiden Hände in seine. Seine verhaltene Stimme und die Beklommenheit im Blick des stets so selbstsicheren Mannes rührten sie. Der König hatte sich einer großen Sünde schuldig bekannt und wartete auf das Urteil seiner Geisel! Doch es war nicht an ihr, ihn zu richten. Sie schwieg.
    »Ich verstehe, wenn du dich von mir zurückziehen willst«, fuhr er leise fort. Er ließ Gerswinds Hände los, erhob sich vom Stuhl und flüsterte: »Obwohl in dir meine Lebenskraft wohnt, Gerswind, du Kind des Waldes und Herrscherin des Herzenhains. Wo immer du leben möchtest, werde ich dafür sorgen, daß es dir gutgeht. Ohne daß du mir jemals wieder unter die Augen zu treten brauchst. Das verspreche ich dir. Willst du das?«
    Bei seinen Worten zog eine große Leere in ihr Herz ein. Ich liebe diesen Mann, ganz gleich, wer er ist und was er getan hat, ich könnte es nicht ertragen, ihn aus meinem Leben verschwinden zu sehen, dachte sie. Und doch darf ich ihn nie wieder berühren. Nicht, nach allem, was geschehen ist.
    In stiller Verzweiflung schüttelte sie den Kopf. Karl hob ihr Kinn an, sah ihr lange forschend in die Augen und rief plötzlich: »Du magst mich immer noch! Trotz allem, was du über mich weißt! Ach, Gerswind, wie hast du mir gefehlt!«
    Er riß sie an sich. Als sie seine Lippen auf ihren spürte, ging ein Ruck durch ihren Körper. Nein, nein, nein! Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und drückte sie Karl abwehrend an die Brust. Sosehr ihr Blut auch in Wallung geraten war – sie durfte sich diesem Mann nicht wieder hingeben! Nicht nach alledem, was er getan hatte. Äbtissin Gisela, Liutgard, Hruodhaid. Wie in Gestalt der drei Nornen tauchten die Gesichter dieser Frauen vor ihrem geistigen Auge auf.
    »Nein!« rief sie verzweifelt.
    Karl ließ sie augenblicklich los.
    »Verzeih«, sagte er heiser, ging schweren Schrittes zur Tafel in der Mitte der Kammer und setzte sich auf eine Bank. »Ich wollte dich nicht bedrängen, ich dachte nur, daß auch du dich nach mir sehnst. Sag mir, Gerswind, was ist es, was du wirklich von mir willst?«
    Der Widerstreit ihrer Gefühle machte es Gerswind unmöglich, darauf zu antworten. Mit gesenktem Haupt blieb sie stumm an jener Stelle stehen, wo Karl von ihr abgelassen hatte.
    »Sieh mich an, Gerswind!«
    Langsam hob sie die Lider und sah ihn mit einem solch seelenwunden Blick an, daß der König leicht erschauerte. Er räusperte sich.
    »Nichts wird wieder so sein, wie es war«, stellte er fest, »doch eine Sache sollte sich nicht ändern. Die Freundschaft. Du, Gerswind, hast mir selbst gesagt, daß sie das Wichtigste im Leben sei. Darf ich dir wenigstens meine Freundschaft anbieten?«
    Freundschaft. Schon das Wort verbreitete Behagen. Gerswind löste sich aus ihrer Erstarrung und nickte.
    »Dann laß uns diese Freundschaft feiern!« Karl schlug leicht auf die Tischplatte. »Vergiß mein Ungestüm, meine Freundin, setze dich zu deinem König und wisse, daß er dir von Herzen zugetan ist.«
    Immer noch etwas benommen, ließ sich Gerswind Karl gegenüber am Tisch nieder. Sie staunte darüber, wie schnell er Sprache und Fassung wiedergefunden und sich auf eine neue Lage eingestellt hatte. Ihre Kehle war wie ausgedörrt. Sie hustete.
    »Möchtest du etwas trinken?« fragte er. Als sie nickte, läutete Karl nach einem Diener und bestellte einen Krug Bier.
    »Schon mein Vater schätzte das Bier dieser Abtei in hohem Maße«, erklärte Karl im Plauderton, als der Diener das Gemach verlassen hatte. »Und wie Plutarch sagte: ›Bier ist unter den Getränken das nützlichste, unter den Arzneien das schmackhafteste und unter den Nahrungsmitteln das angenehmste.‹ Und nichts kann nach großer Aufregung den Durst besser löschen.«
    »Das hat Plutarch gesagt?« brachte Gerswind fast krächzend hervor.
    »Nein. Aber was sagen wir Hruodhaid?« Der König stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich möchte, daß sie an den Hof zurückkehrt.«
    Hruodhaid. Wie ein Zauberwort sorgte die

Weitere Kostenlose Bücher