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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Alkuin auch«, stöhnte Karl. »Der Zehnt und so weiter … Ihr beide solltet heiraten.«
    »Ich glaube, der will mich nicht haben«, bemerkte Gerswind trocken.
    Karl lachte. »Wie solltest du auch gegen seine hübschen Schreiber bestehen können!«
    »Ach, mich findest du nicht hübsch?« Der kokette Satz war heraus, bevor sie nachgedacht hatte. Er schafft es immer wieder. Dennoch tat es ihr gut, unbefangen mit Karl umzugehen. Ihr Herz konnte sich auf Dauer nicht gegen ihn verschließen. Sie gestand sich ein, daß die Zeit des Abstandhaltens an ihren Kräften gezehrt hatte. Doch das Lager würde sie auch weiterhin nicht mit ihm teilen.
    »Und du, findest du mich nicht zu alt?«
    Als sie nicht antwortete, küßte er sie sanft in den Nacken. Sie rückte ein wenig von ihm ab. Er lachte leise und fragte: »Willst du mit mir an die Küste reiten, Gerswind? Nur mit einem kleinen Reisezug. Den restlichen Hofstaat lassen wir zu Hause. Ich will mir meine neue Flotte ansehen, und wer weiß, vielleicht finden wir eine Spur deiner Mutter.«
    Das Meer, dachte Gerswind. Ich würde zu gern einmal das Meer sehen! Sie musterte Karl nachdenklich. Zwei Frauen hatte er im vergangenen Jahr geschwängert. Sie hatte selbst erlebt, welch entsetzliches Leid Rathild bei ihrer Fehlgeburt widerfahren war, und sah täglich, wie sich Madelgard über die Geburt ihrer Tochter grämte. Sicher, Karl hatte Anteil am Schicksal dieser Frauen genommen, ihnen wahrscheinlich auch das Gefühl gegeben, daß sie das Wichtigste auf der Welt für ihn wären. Mit süßen Worten hatte er sie betört, und mit süßen Worten half er ihnen über alle Beschwerden und Unsicherheiten hinweg. Weder Mühe noch viel Zeit kostete ihn das. Er wußte genau, was er tat und was er brauchte. Und wie er ohne großen Aufwand die anderen dazu bringen konnte zu glauben, daß sie es auch brauchten. Bei ihr genügte das Stichwort Mutter. Sie lächelte ihn fein an: »Ich komme gern mit.« Und werde deinem Bett fernbleiben!
    Carolino wartete vergeblich am Bärenzwinger und mußte sich schließlich eingestehen, daß diese Schlacht nicht mehr zu gewinnen war.
    Zum ersten Mal in ihrem Leben stand Gerswind am Meeresstrand. Sie blickte über die riesige graue Fläche, die sich am Horizont durch einen scharfgezogenen weißen Strich vom Himmel abgrenzte.
    »Es ist ungeheuerlich«, flüsterte sie, streckte die Hand aus und fragte: »Was ist das?«
    Am Ende der Meereswelt war ein Segel aufgetaucht.
    »Ein Schiff«, erwiderte er. »Und hoffentlich eines von unseren.«
    »Aber weshalb sind da nur die Segel, und wo kommt es plötzlich her?« fragte sie und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.
    »Das ist ein Rätsel, mit dem sich Alkuin schon lange beschäftigt«, erwiderte Karl. »Er vermutet, daß die Erdscheibe gewisse Rundungen aufweist. Aber du frierst ja, komm, laß uns hineingehen, auf daß du Wärme findest.«
    Nie würde Gerswind diese Tage an der Nordküste des Gallischen Ozeans vergessen. Sie fragte sich, ob es ihr Wikingerblut war, das in Wallung geriet, wenn sie allein über den einsamen Strand wanderte. Das heißt, ganz so einsam war dieser Strand nicht mehr, denn Karl hatte zum Schutz gegen ebendiese Nordmannen überall Wachen aufstellen lassen. Aber die hielten sich zurück, wenn die junge Frau in den Dünen auftauchte, sich ans Ufer setzte und über die grenzenlose Weite blickte.
    »Ich weiß jetzt, was Freiheit ist«, sagte sie am letzten Abend zu Karl.
    »Da bin ich aber gespannt.«
    »Das Versinken in der Unendlichkeit.«
    »Klingt eher nach Tod.«
    »Vielleicht ist es das gleiche.«
    »Gerswind!«
    »Wissen wir denn, ob der Tod nicht wirklich die Freiheit bedeutet? Euer Christengott deutet das doch auch an.«
    »Euer?«
    »Karl, du hattest recht. Hier am Meer fühle ich mich meiner Mutter nah. Ich stelle mir vor, wie sie am Bug eines dieser stolzen Drachenschiffe steht, der Wind durch ihre Haare fährt und sie sich in dieser unermeßlichen Weite frei und unbesiegbar vorkommt. Und dieses Gefühl unserem Volk mitteilen möchte, das sich in der Enge deiner Bestimmungen geknechtet und unterworfen fühlen muß. Das keinen Horizont mehr sehen kann und nur noch schuften muß, um die Abgaben aufzubringen. Das nur noch überlebt, aber nicht mehr die Kraft aufbringt, dem Leben mehr als die reine Notwendigkeit abzuringen. Das nicht so tief durchatmen und nicht spüren kann, wie die Luft der Freiheit durch den Körper strömt, wie wir jetzt, hier am Meer. Siehst du das

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