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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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das sein?«
    Alkuin zuckte mit den Achseln.
    »Weiß ich nicht. Er ist erfinderisch. Wie so viele, die von ganz unten kommen, verfügt er über eine Schläue, die Hochgeborenen oftmals fehlt. Du hast ja selbst gesehen, welch großen Vorteil er aus der Tatsache geschlagen hat, daß Campulus und Paschalis danebengestochen haben! Die halbe Christenheit feiert ihn als einen Märtyrer, an dem Gott Wunder bewirkt hat. Leider wirst du in die gleiche Kerbe hauen müssen. Gott macht es uns mit diesem seinen Stellvertreter wahrlich nicht leicht.«
    Es wurde an der Tür geklopft. Erschrocken sahen sich die beiden Männer an. Alkuin hatte ausdrücklich befohlen, bei der Unterredung mit Karl nicht gestört zu werden, es sei denn, Königin Liutgard wünsche den König zu sprechen. Karl starrte zur Tür.
    Mit gesenktem Haupt trat der Medicus ein.
    »Es tut mir so leid …«, begann er.
    »Nein!« schrie Karl. »Nein!«
    Er sprang auf und rannte zu Liutgards Gemach, nahm kaum am Rande wahr, daß Gerswind in einer Ecke stand, und stürzte sich auf den leblosen Körper seiner Frau. Fastrada, ging es Gerswind durch den Kopf, und sie erschauerte. Unwillkürlich griff sie nach dem Ring unter ihrem Kleid.
    Was wünschst du? schien eine absurde Stimme in ihrem Kopf zu fragen. Er darf nicht wieder so leiden, dachte sie verzweifelt. Er soll sie loslassen!
    Das Gespräch zwischen Gerswind und Liutgard war kurz gewesen.
    »Mir fehlt leider die Zeit für Höflichkeiten«, hatte Liutgard leise gesagt, »und dir sollte bekannt sein, daß ich dich sehr schätze und mag. Auf eine gewisse Weise liebe ich dich sogar, denn du könntest Karl auf eine Art glücklich machen, der ich abgeschworen habe.«
    Gerswind wollte etwas sagen, aber die Königin schüttelte den Kopf.
    »Hör mich an, meine liebe Gerswind, du schönes Sachsenmädchen, dem eine große Zukunft bevorsteht. Einst war ich Karls Geliebte, doch seitdem ich Königin bin, habe ich das Bett nicht mehr mit ihm geteilt. Zu seinem und zu meinem Schutz. Deshalb konnte ich es ertragen, daß sein Blick zu anderen schweifte und sein Körper von anderen berührt wurde. Was uns verband, war jenseits dieser Bedürfnisse. Auch dir gebe ich den Rat, mein liebes, schönes Kind, wenn du nicht leiden willst, bleibe ihm so fern, wie du es nur vermagst. Hüte die Erinnerung an seine Berührungen wie einen kostbaren Schatz. Wisse, daß dir jeder Augenblick des Glücks mit ihm unsägliche Schmerzen abverlangen wird. Ich hätte sie nicht ertragen können, aber du, du starkes Sachsenmädchen mit dem Nordmannenblut, bist viel zäher als ich. Vielleicht ist es bei dir anders, vielleicht bist du die einzige, die ihm tatsächlich alles geben kann, vielleicht bist du die Antwort auf die Frage, die ihn sein ganzes Leben umtreibt. Warum …«
    Sie begann schwer zu atmen.
    »Schone dich, Liutgard«, flehte Gerswind. Sie griff nach einem Krug. »Vielleicht solltest du etwas trinken …«
    Die Königin wehrte ab. »Ich werde nichts mehr trinken, Gerswind. Gib auf die Seele des Königs acht. Er selbst kann es nicht. Sie darf nicht verlorengehen.«
    Ihre Augen waren immer noch offen. Aber es kam kein Lidschlag mehr. Gerswind kniete sich neben ihrem Bett nieder.
    »Liutgard«, flüsterte sie. »Liutgard!«
    Das Gesicht der Königin war bereits so grau wie das von Teles, als ihn Gerswind zum letzten Mal gesehen hatte.
    »Mögest du jetzt wirklich frei sein«, flüsterte sie. »Du warst eine große Königin und Karl die beste Gemahlin.« Sanft schloß sie Liutgards Augen und holte den Medicus.
    »Nein, nein, nein!« schrie Karl jetzt immer noch.
    Alkuin war im Türrahmen erschienen. Er trat auf Karl zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Laß sie in Frieden gehen«, sagte er leise.
    Karl wandte sich ihm zu. »Warum?« fragte er verzweifelt. »Warum muß sie sterben? Sie hat doch niemandem etwas getan!«
    »Was haben die grünen Blätter getan, die der Sturm vom Baum reißt?« fragte Alkuin zurück und setzte mit Tränen in den Augen hinzu: »Karl, du wußtest, daß du eine Sterbliche geliebt hast. Und in einer vollkommenen Welt wirst du sie wiedersehen.«
    Mit gesenktem Haupt schlich Gerswind aus dem Zimmer.
    Karl zog zum vierten Mal gen Rom, doch nie zuvor war er mit solchen Ehren empfangen worden wie an diesem 23. November des Jahres 800. Schon zwölf Meilen vor den Toren der Stadt wartete eine jubelnde Menge auf den Frankenkönig. Fahnen der städtischen Miliz flatterten lebhaft im Wind, und Lobgesänge erschallten

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