Die Beutefrau
Sachsen wieder eine Art Stammesgefühl hervorzurufen und sie an ihre Wurzeln zu gemahnen. Sie fordert sie auf, einen Treueid zu brechen, den sie unter Zwang geleistet hätten und der somit nach sächsischem Recht ungültig sei.«
»Geva«, knurrte Karl.
Einhard nickte. »Ich verstehe nicht, wie es einer Frau gelingen kann, solche Macht über Menschen auszuüben.«
»Ich schon«, erwiderte Karl trocken. »Vergiß nicht, ich bin der Sohn der Bertrada. Meine Mutter hat mich auf harte Weise gelehrt, Frauen nicht zu unterschätzen. In jeder Hinsicht. Wenn man sie ausbildet und ihnen Grenzen setzt, sind sie Großartiges zu leisten imstande, weshalb ich ja auch wünsche, daß sie unterrichtet werden und ihre Fähigkeiten zum Nutzen aller einbringen. Und schau dir doch nur deine Emma an, Einhard, die kann dich nicht nur auf dem Buckel tragen, sondern könnte dich auch runterrutschen lassen, wenn es ihr gefiele …«
Karl berief alle Söhne zur Heerschau nach Lippspringe ein und zog dann mit einer überaus stattlichen Streitmacht in hoher Geschwindigkeit nach Hollenstedt, wo nahe Hamburg das Lager aufgeschlagen wurde. Er war wild entschlossen, dem Sachsenaufruhr ein für allemal ein Ende zu bereiten. Zweiunddreißig Jahre lang hatte er es sich bieten lassen, beinah jährlich gegen dieses uneinsichtige, störrische Volk zu Felde zu ziehen. Damit war es jetzt vorbei!
Diesmal würde er sich nicht durch Schwüre, die ja doch unverzüglich wieder gebrochen wurden, milde stimmen lassen. Diesmal würde er keinerlei Gnade zeigen. Diesmal würde er jeden überlebenden Sproß dieses widerspenstigen Stammes in eine weit entfernte Gegend verpflanzen. Er wollte das Sachsenland auslöschen, alle Sachsen, die nach diesem grimmigen Feldzug noch leben würden, daraus vertreiben und nie wieder dort Krieg führen.
Nacktes Entsetzen ergriff die Sachsen, als sie den riesigen Elefanten sahen, der laut trompetend den gefürchteten Reiterscharen voranschritt. Die meisten Aufständischen ergaben sich angesichts der Heerscharen des Kaisers kampflos. Sie bereiteten sich auf die übliche Treueidzeremonie vor, doch damit hielt sich der Kaiser dieses Mal gar nicht erst auf. Er ordnete augenblicklich die Umsiedlung aller Sachsen jenseits der Elbe an, ohne Rücksicht auf Stand, Alter oder Geschlecht. Auch dem Kaiser schon lange treuergebene Sachsen fielen dieser Verschleppung zum Opfer. Wer sich widersetzte, jammerte oder sich zu langsam bewegte, wurde auf der Stelle gnadenlos hingerichtet.
Ein langer Zug von über zehntausend Sachsen verließ Transalbingen. Immer wieder wurden sie in kleinere Gruppen unterteilt, die in unterschiedliche Richtungen des Frankenlandes geführt und dort in der Fremde ihrem Schicksal überlassen wurden. Damit war der Stamm der transalbischen Sachsen zerschlagen. Die menschenleeren Gaue übergab der Kaiser den Abodriten, seinen heidnischen Verbündeten. Somit errichtete er gleichzeitig eine Pufferzone zwischen sich und den Nordmannen, von denen immer bedrohlichere Berichte ins Frankenland drangen.
Deshalb war Karl auch überhaupt nicht überrascht, als er vernahm, daß der Dänenkönig Göttrik mit seiner Flotte im nahen Schleswig eingetroffen war und sich dort mit geflüchteten Sachsen zusammengetan hatte, die von einer Frau angeführt wurden.
»Diesmal entkommt sie mir nicht!« sagte der Kaiser voller Entschlossenheit zu seinen Söhnen.
»Auch die heidnischen Nordmannen werden schreiend fortlaufen, wenn wir Abul Abbas unseren Truppen voranschicken!« versetzte Ludwig fröhlich. Karl unterdrückte einen Seufzer. Hildegards jüngstem Sohn fehlte jegliches Gespür für kluge kriegerische Handlung. Die Kampfesweise der Wikinger war den Franken bisher gänzlich unbekannt, und der Kaiser verspürte nicht die geringste Neigung, sich auf ein Wagnis einzulassen, dessen Ausgang höchst ungewiß war.
»Vielleicht sollte man zunächst mit Göttrik verhandeln«, schlug Karl der Jüngere vor.
»Genau das habe ich vor!« erwiderte Karl. »Es wird höchste Zeit, deinen unverzeihlichen Fehler wieder auszubügeln. Mit Geschenken werde ich mir den Dänenkönig gewogen machen, und wenn er mir dennoch Gevas Auslieferung verweigert, können wir immer noch zu militärischen Mitteln greifen.«
König Göttrik, der derzeit ebensowenig Lust auf ein Kräftemessen mit den Franken verspürte, nahm das Dutzend Pferde, das ihm Karl sandte, dankend an, erklärte, auf Kampfeshandlungen verzichten zu wollen und Karl das Gewünschte auszuliefern.
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