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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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den Nachfahren!«
    Gerswind hob die Augenbrauen.
    »Was wird der gute Einhard wohl dazu sagen, wenn ich seine christliche Schreibstube zur Niederschrift heidnischer Geschichten nutze!«
    Karl deutete zu dem Pult in der Ecke.
    »Dann arbeite eben hier! Räum aber dem Heidnischen nicht zuviel Platz ein, und mach die wichtigsten Helden zu Christen, vor allem die erfolgreichen. Und wenn es um heidnische Zaubereien geht, verwandelst du sie gefälligst in göttliche Wunder oder in das Werk des Teufels. Ich lasse dir Pergament und Schreibmaterial herbringen. Dies ist dein Gemach, meine Gerswind. Das schönste im Haus – genau wie ich es dir versprochen habe.«
    Das Herz klopfte Gerswind bis zum Hals. Warum nur hatte Karl das unverfängliche Gebiet des Geschichtenerzählens verlassen! Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg und sich ein seltsames Gefühl in ihrer Magengrube breitmachte.
    »Du fehlst mir, Gerswind«, sagte Karl schlicht und setzte leise hinzu: »Ich begehre dich. Nach wie vor.«
    Sie starrte ihn reglos an, überzeugt, daß er jetzt das Pochen ihres Herzens vernehmen müßte.
    Doch Karls nächste Worte überraschten sie: »Ich spreche jetzt nicht von deinem Körper. Was der mir bietet, kann ich schließlich wohlfeil an jeder Ecke haben.« Er runzelte kurz die Stirn, als er an die neuen Gebäude dachte, die einige Aachener nach dem Muster seines Frauenhauses errichtet hatten und die der Kirche ein Dorn im Auge waren. Obwohl Einhard ihn unablässig drängte, gegen diese unchristlichen Einrichtungen vorzugehen, hatte er bisher noch nichts unternommen. »Ich verzehre mich nach deiner Seele«, setzte er leise hinzu.
    »Die wohnt in meinem Körper.« Es war heraus, ehe sich Gerswind bedacht hatte.
    »Weswegen ich durchaus auch diesen begehre.«
    Er zog das Messer, das an seinem Gürtel baumelte, aus der Scheide, bückte sich, säbelte ein kleines Stück seines Schenkelbandes ab und legte es neben sich aufs Bett.
    »Es steht in deiner Macht, dem Kaiser einen großen Wunsch zu erfüllen«, sagte er leise, als er sich erhob. »Befestige das Band an deiner Tür, wenn du meinen Besuch wünschst. Nur dann werde ich hier eintreten. Es ist dein Gemach, Gerswind, du bist hier die Herrin und bestimmst, was hier geschieht oder nicht geschieht.«
    Und damit verließ er das Zimmer.
    Gerswind blieb noch lange auf dem Stuhl am Fenster sitzen. Sie beobachtete den Lauf der Sonne am Himmel, freute sich an den Schatten, die später ins Zimmer fielen, und an dem leisen Rascheln der Blätter im Wind. In der Nacht würde sie von diesem Zimmer aus den Mond und die Sterne sehen können. Unfaßbar! Sie fragte sich, weshalb Karl sein Frauenhaus an den Rand des entstehenden Dorfes gesetzt hatte, und gab sich selbst die Antwort: Wenn er seiner Natur freien Lauf läßt, will er Natur um sich haben. Deshalb wohl auch dieses besondere Fenster, das sogar die Natur ins Haus zu bringen vermochte. Friede umfing sie im schönsten Schlafgemach, das sie je gesehen hatte.
    »Du kannst doch nicht in das Haus dieser Frauen ziehen!« rief Hruodhaid entsetzt.
    Gerswind sah sich um in der kleinen Kammer mit der schmalen Fensteröffnung, durch die kaum eine Hand paßte und die mit einem Holzladen verriegelt werden konnte. Ihr Blick fiel auf das Bett, und sie stellte sich vor, einmal eine ganze Nacht lang durchschlafen zu können, ohne von Tritten, Seufzern und Gemurmel geweckt zu werden. Sie stellte sich vor, in dem Zimmer, in dem sie schlief, auch arbeiten zu können, ohne daß ihr ein neugieriger Mensch über die Schulter sah.
    »Hruodhaid, ich bin keine Tochter des Kaisers. Es ist nicht recht, daß ich als erwachsene Frau diese Rolle weiterspiele …«
    »Aber du bist auch keine … keine … v… v… von … denen …«, spuckte Hruodhaid aus.
    »Nein«, sagte Gerswind trocken.
    »Wieso ziehst du dann in das Erdgeschoß und nicht in eines der Stockwerke der anderen Hofdamen?«
    »Weil ich Ruhe brauche, um ein Werk für deinen Vater zu schreiben. All die Geschichten, die ich dir erzählt habe, wenn du nicht schlafen konntest …«
    »Etwa die heidnischen Geschichten?« fragte Hruodhaid verschwörerisch.
    Gerswind nickte. »Auch die. Dein Vater bestimmt, wer sie lesen soll. Es wäre nicht gut, wenn jemand anders sähe, was ich schreibe. Das verstehst du doch?«
    Hruodhaid nickte, noch nicht ganz überzeugt.
    »Aber da darf ich dich nicht besuchen! Der Zerberus …«
    »… heißt Achmed«, ergänzte Gerswind lachend. »Ach, Hruodhaid, es

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