Die Beutefrau
Leben!«
»An mir soll es nicht scheitern!« Karl lachte so vergnügt, daß Jahre von ihm abzufallen schienen. »Ich werde ihr die Welt zu Füßen legen!«
»Wie allen deinen Töchtern«, sagte sie und stimmte in sein Lachen ein.
Als das Jahr 810 ohne eine weitere größere Katastrophe ausklang, atmete Karl tief durch. In der Marienkirche entzündete er unzählige Kerzen, setzte sich auf seinen schlichten Thron und hielt stundenlange Zwiesprache mit dem Jesusbild, das ihm gegenüberhing. Und dann war sein Entschluß gefaßt.
Weder Karl noch Ludwig sollten ihm nachfolgen, sondern jener wahrlich Erstgeborene, der seit achtzehn Jahren als Mönch im Kloster Prüm lebte. Vor Jahrzehnten hatte Karl die Unterlagen vernichtet, die seine Ehe mit dessen Mutter Himiltrud bescheinigten, und er fragte sich, ob Gott ihn im vergangenen Jahr auch wegen dieses Unrechts bestraft hatte.
Darüber wollte er mit Gerswind sprechen, die später am Abend mit Adeltrud auf dem Arm zu ihm ins Zimmer kam. Er lächelte sie an.
»Du willst wirklich keine Amme?«
Gerswind schüttelte den Kopf. »Wozu? Ich möchte meinem Kind alles geben, was ich habe – und dazu gehört auch die Milch.«
»Ich habe gehört, daß sich meine Mutter auch geweigert hat, für mich eine Amme zu bestellen«, erwiderte Karl. »Geschadet hat es mir offensichtlich nicht. Aber ist dir das Kindergeschrei nicht lästig?«
»Dir etwa?« fragte Gerswind zurück.
»Nein. Ich will nicht behaupten, daß es Musik in meinen Ohren ist, aber es macht mich froh, denn dann höre ich, daß meine Tochter lebt und sich zu äußern weiß. Bei meinem ersten Kind …«
Er brach ab.
»Bei deinem Karl …«, half Gerswind nach.
»Nein. Nicht Karl. Pippin.«
Gerswind legte sich mit ihrer Tochter aufs Bett und nahm sie an die Brust, ehe sie wieder sprach. »Ich bin froh, daß du Pippin als deinen ersten Sohn bezeichnest.«
»Er war immer mein Ältester.«
»Jetzt gibt es nur noch einen Pippin. Du hast ihm unrecht getan.« In ihrer Stimme schwang etwas Schärfe mit.
»Ich will es wieder recht machen.«
Adeltrud begann zu schreien, weil sich Gerswind unvermittelt bewegt hatte.
»Wie?« fragte sie erstaunt.
»Er ist der einzige, der die Fähigkeiten hat, mir als Kaiser nachzufolgen. Das habe ich schon vor vielen Jahren bei unserem Gespräch in Prüm erkannt.«
»Nun, daß auch er unverheiratet ist, liegt weniger an ihm selbst als an seinem derzeitigen Stand«, meinte Gerswind. »Wie alt ist er jetzt?«
»Zweiundvierzig.«
Gerswind legte Adeltrud, die sich wieder beruhigt hatte, behutsam aufs Bett, trat auf Karl zu, der auf seinem hohen Stuhl mit der geraden Holzlehne saß, und strich ihm liebevoll übers Haar.
»Er ist jung genug, um für Nachfolger zu sorgen. Sein Vater mag ihm da als Vorbild dienen. Keiner deiner Söhne ist dir ähnlicher, Karl, und ich glaube, deine Entscheidung ist gut. Gott wird sie dir gewiß danken. Schicke sofort Boten los, und laß Pippin herkommen.«
Karl nickte.
»Danke, Gerswind, ich wußte, daß du mich verstehen würdest. Kaiser Pippin. Der Klang gefällt mir. Die Ahnen werden uns gnädig sein, da bin ich mir sicher.«
Erst am nächsten Tag erfuhr Gerswind zu ihrem Entsetzen, daß dieselben Boten ausgesandt worden waren, die ein Jahr zuvor dem anderen Pippin das Geschenk seines Bruders Ludwig überbracht hatten. Und vor einem Jahr waren ebendiese Boten mit der Nachricht vom Tod des Königs von Italien zurückgekehrt.
14
Gunst und Mißgunst
Die Jahre 811 bis 813
Gerswind konnte und durfte dem Kaiser ihren ungeheuren Verdacht nicht kundtun. Sie hatte keine Beweise, daß Ludwig in irgendeiner Form am Tod seines Bruders Pippin mitgewirkt haben könnte, nur eine Ahnung, daß er dazu durchaus fähig, verschlagen und gewissenlos genug wäre. Hinzu kam, daß er sich sein Leben lang durch seine Brüder herabgesetzt gefühlt hatte. Mutter Hildegard hatte immer zu verstehen gegeben, daß ihr der lebenslustige Pippin am meisten am Herzen lag, Vater Karl hatte den nach ihm benannten Sohn eindeutig vorgezogen, und die beiden älteren Brüder hatten sich stets mit Wonne über den Jüngsten lustig gemacht. Ludwig wußte, daß am Hof Spottlieder über seine mangelnde Führungskraft und seine zur Schau getragene Frömmigkeit gesungen wurden und daß niemand ihm großartige Fähigkeiten zutraute. Genau das machte ihn gefährlich.
Gerswind dachte daran, wie bedrohlich das sächsische Volk dem Frankenherrscher immer dann geworden war, wenn er vermeinte, es
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