Die Beutefrau
in die Knie gezwungen zu haben. Verwundete und gedemütigte Geschöpfe überraschen oft durch ungeahnte Kräfte. Wer kaum noch etwas zu verlieren hat, greift bedenkenloser zu schändlichen Mitteln. Auch Ludwig würde vor nichts zurückschrecken, um endlich allen zeigen zu können, was in ihm steckte. Gerswind selbst hatte ja zur Genüge erfahren, wie brutal, heimtückisch und niederträchtig er zu Werke gehen konnte. Sie zweifelte nicht im geringsten daran, daß er alles daransetzen würde, um seine ungeliebten Brüder aus dem Weg zu räumen.
Karl hielt seinen Jüngsten zwar auch für einen denkbar ungeeigneten Herrscher, aber er liebte ihn und wäre mit Gewißheit entsetzt, würde ihm Gerswind ihre Gedanken zu Ludwig mitteilen. Er würde ihr Niedertracht unterstellen, denn er wußte, wie sehr sie den König von Aquitanien verabscheute und wie dankbar sie war, daß dieser den größten Teil des Jahres fern des Aachener Hofs in seinem eigenen Reichsteil verbrachte.
Karl hatte sich schon seit Jahren bemüht, hinter den Ursprung des unversöhnlichen Hasses zwischen Gerswind und Ludwig zu kommen. Ludwigs groteske Behauptung, die kleine Sächsin habe ihn mit Zauberei an sich binden und dadurch vernichten wollen, glaubte er dabei ebensowenig wie Gerswinds verschwommene Andeutung, sein Sohn habe ihr Gewalt angetan. Der ängstliche Ludwig, mutmaßte der Kaiser, würde es nie wagen, eine Geisel, die unter dem ausdrücklichen Schutz des Vaters stand, in irgendeiner Form tätlich anzugreifen. Schließlich war er kein kleines Kind mehr, das mit seinen Spielgefährten grob umging. Verärgert hatte er Gerswind wissen lassen, daß er nicht mehr bereit und willens sei, sich unglaubwürdige und gehässige Geschichten über seinen Sohn anzuhören.
Wenig konnte am Hof geheim bleiben, und es waren bereits erste Gerüchte aufgekommen, daß sich der bucklige Pippin nicht nur mit seinem Vater ausgesöhnt habe, sondern daß er aus dem Kloster geholt und ihm eine neue Rolle im Reich zugewiesen werden solle. Das konnte alles mögliche bedeuten, doch Gerswind zweifelte nicht daran, daß Ludwig in diesem älteren Halbbruder einen weiteren Rivalen um den Kaiserthron sah, den es auszuschalten galt.
Pippin befand sich demnach in höchster Gefahr. Gerswind konnte und wollte nicht tatenlos zusehen, wie das Verhängnis seinen Lauf nahm. Schließlich hatte ihr Pippin einst das Leben gerettet. Sie stand in seiner Schuld und mußte so schnell wie möglich nach Prüm und ihn warnen. Aber wie kam sie dorthin? Und wem konnte sie Adeltrud in dieser Zeit anvertrauen?
Sie überlegte, wer gescheit genug war, ihr zu raten, ohne sie zu verraten. Jemand, der nicht zur kaiserlichen Familie gehörte und Karl Bericht erstatten würde. Teles, dachte sie traurig, wie du mir fehlst!
Auf Hruodhaid konnte sie nicht mehr zählen. Ihre alte Freundin hatte sich verbittert zurückgezogen, als Gerswinds besondere Verbindung zu Karl nicht mehr zu verheimlichen gewesen war. Erstaunt hatte Gerswind festgestellt, daß ihr Hruodhaid das Verschweigen weitaus übler nahm als die Tatsache, daß sie mit ihrem Vater das Lager teilte.
»Du hast mich die ganze Zeit über belogen und betrogen«, stellte Hruodhaid voller Verachtung fest. Für sie war Gerswind auf die Stufe der anderen Beischläferinnen gesunken, mit denen sie nichts zu tun haben wollte. Sie gab Gerswind keine Gelegenheit, sich zu verteidigen oder zu erklären, sondern ging ihr aus dem Weg und hatte Adeltrud bislang nicht einmal eines Blickes gewürdigt. Gerswind litt unter der Ablehnung der Freundin, mit der sie im Laufe der Jahre so vieles gemeinsam durchgestanden hatte. Zu gern hätte sie Hruodhaid dargelegt, wie einzigartig und bedeutsam ihre Verbindung zu Karl war. Aber darüber hätte Hruodhaid wahrscheinlich nur höhnisch gelacht und angemerkt, daß jede von Karls Buhlen dies glaube.
Das traf gewiß zu und war schließlich auch der Grund, daß sich keine der Bewohnerinnen des Frauenhauses dadurch erniedrigt fühlte, nicht die einzige Frau im Leben des Kaisers zu sein. Wie in der neugestalteten Reichsverwaltung Kämmerer, Mundschenk, Seneschall, Marschall, Pfalzgraf und Quartiermeister klar umrissene Aufgaben übernahmen, so sah sich jede dieser Frauen berufen, dem Kaiser auf ihre ganz spezielle Art zu dienen. Das war bei Gerswind in der Tat anders.
»Ich betrachte mich als deine Hetäre«, sagte sie einmal zu Karl, der sie daraufhin verständnislos ansah.
»Das ist im klassischen Sinne durchaus ehrenwert«,
Weitere Kostenlose Bücher