Die Beutefrau
ist?«
»Es würde ihm das Herz brechen, wenn er wüßte, was ich weiß«, versicherte Gerswind. »Wir müssen ihn schonen. Ich berichte dir alles, wenn du mir ein zahmes Pferd satteln läßt«, sie erschauerte kurz bei dem Gedanken an den langen Ritt, »und mit mir so schnell wie möglich nach Prüm reitest. Von dieser Reise, die dich vielleicht nur zwei, drei Tage kostet, hängt auch deine Zukunft ab.«
Der Jüngling dachte kurz nach. Den Kopf würde ihn ein Umweg nicht kosten, diesen Abstecher zu unterlassen aber möglicherweise den Thron von Italien, wenn diese Frau recht hatte. Die Entscheidung war schnell getroffen.
Unterwegs nahm Gerswind Bernhard den Schwur ab, zu niemandem etwas von dem verlauten zu lassen, was sie ihm nun enthüllen würde. Sie deutete an, daß ›dunkle Kräfte‹, die Ludwig als künftigen Kaiser sehen wollten, seinen Vater aus dem Weg geräumt hätten und jetzt mit dem anderen Pippin, dem Buckligen in Prüm, das gleiche planten.
»Denn dein Großvater Karl hat beschlossen, daß dieser ihm als Kaiser nachfolgen soll«, verkündete sie. Bernhard zügelte sein Pferd und starrte Gerswind mit offenem Mund an.
»Warum nicht der Älteste, König Karl?« fragte er betroffen.
»Pippin ist sein ältester Sohn«, erklärte Gerswind. »Und der Kaiser hält ihn für den Fähigsten. Jedenfalls jetzt, da dein Vater tot ist«, setzte sie eilig hinzu. »Begreifst du endlich, was es für dich bedeutet, wenn ein außerehelicher Sohn Kaiser werden kann?«
»Daß ich auch Kaiser werden kann?« fragte der Vierzehnjährige aufgeregt.
»Gemach!« Gerswind lachte. »Freu dich lieber darüber, daß dir aus diesem Grund niemand dein Königtum streitig machen kann. Stell dich also gut mit deinem Oheim Pippin. Wer weiß, wenn er kinderlos stirbt, vererbt er dir vielleicht seine Krone. Aber jetzt geht es erst einmal darum, daß er am Leben bleibt.«
Die Boten des Kaisers trafen Pippin im Klostergarten an. Sie verneigten sich vor dem buckligen Mönch, der mit den Händen in der Erde wühlte und sie kaum eines Blickes würdigte.
»Wir kommen vom Hof Eures Vaters.«
Pippin wischte sich die Hände an seiner Kutte ab und richtete sich mühsam auf.
»Mit welcher Kunde?« fragte er.
»Mit freudiger«, antwortete einer der Boten, zog aus einem Behältnis eine dünne Pergamentrolle und wollte sie Pippin reichen. Der wehrte ab.
»Meine Hände tragen die Spuren der Erde«, sagte er, »und des Kaisers Pergament ist rein. Was habt ihr mir auszurichten?«
»Eine Frage«, antwortete der andere Bote und legte die Rolle auf das Mäuerchen neben ihm, »nähere Erklärungen findet Ihr in der Schrift. Unser geliebter Kaiser, der große Karl, wünscht seinen Sohn Pippin in Aachen zu empfangen. Seid Ihr bereit, uns zu begleiten?«
»Sein Sohn Pippin weilt in Italien, soweit mir bekannt ist«, entgegnete Pippin.
»Gott hat den König von Italien zu sich gerufen«, erwiderte der Bote mit gewissem Unbehagen.
»Gott sei seiner Seele gnädig«, sagte Pippin leise. »Woran ist er gestorben?«
»An einer Seuche.«
Auch wenn Pippin seit nunmehr achtzehn Jahren zurückgezogen als Mönch in Prüm lebte, war sein Geist so wach wie je. Er entsann sich des letzten Gesprächs mit seinem Vater, der ihn bei seinem Jagdausflug in die Ardennen aufgesucht und gedrängt hatte, das geistliche Gewand abzulegen und an den Hof zurückzukehren. Karl hatte offen mit ihm geredet, über die einfältige Frömmigkeit Ludwigs geklagt, über die oftmals fehlgeleitete Entschlußkraft Karls und die Zügellosigkeiten des anderen Pippins. Mit dem Satz: »Vielleicht wird der ja im Alter besonnener und begreift den Ernst des Lebens« hatte er zumindest bei diesem Sohn noch Besserung für möglich gehalten. Und jetzt war auch diese Hoffnung gestorben.
Pippin ahnte, was auf dem Pergament mit dem kaiserlichen Siegel geschrieben stand.
Die Kaiserkrone.
Pippin blickte an den Boten vorbei in den Klostergarten, den er nun schon seit so vielen Jahren betreute. An diesem Tag erschien es ihm unvorstellbar, daß er sich einst durch einen blutigen Aufstand an die Spitze des Reichs hatte setzen wollen. An Thron und Krone und der damit verbundenen Verantwortung für so viele andere Menschen reizte ihn nichts mehr. Er mochte seine Pflanzen. Und er genoß sein unaufgeregtes, stilles Leben im Kreise seiner Mitbrüder, die Andachten und die schlichten Mahlzeiten.
»Du bist klug, wahrlich fromm, nicht auf deinen eigenen Vorteil bedacht und materiellen und sinnlichen
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