Die Beutefrau
führte Gerswind belustigt aus. »Viele Hetären waren hochgebildete Philosophinnen und wichtige Beraterinnen ihres Geliebten. Denk nur an Aspasia, die Gefährtin des Perikles. Wie du hat auch er in seinem Staat Ehegesetze erlassen und doch mit seiner Hetäre gelebt!«
Karl verzog noch einmal das Gesicht. »Hat die nicht sogar den Peloponnesischen Krieg angefacht? Glaubst du, so viel Macht über mich zu haben, daß ich deinetwegen einen Krieg anzetteln würde?«
»Habe ich dir in den vergangenen Jahren nicht bewiesen, wieviel mehr mir am Frieden liegt?« fragte sie leise zurück. »Und hast du mir nicht manches Mal Gehör geschenkt, wenn es darum ging, im Volk und auch bei manchem Gegner mehr Milde walten zu lassen?«
»Verteilt eine Hetäre ihre Gunst nicht auf mehrere Männer?«
»Diese Hetäre liebt nur einmal.«
Und jetzt mußte sie ihrem Geliebten Sorgen bereiten, weil sie für kurze Zeit aus seinem Leben verschwinden würde. Und aus dem Adeltruds. Wer konnte sich um das kleine Mädchen kümmern? Wer ihr eine gute Amme besorgen?
Ihr fiel Emma ein. Mit der klugen Ehefrau Einhards verband sie eine langjährige Freundschaft, die sich nach Adeltruds Geburt weiter vertieft hatte. Die bislang kinderlos gebliebene Emma hatte sich immer dann um den Säugling gekümmert, wenn sich Gerswind mit Judith beschäftigte. Denn die anfängliche Begeisterung der sechzehnjährigen Judith über ihre winzige Base war mittlerweile in eine gewisse Eifersucht umgeschlagen, ein weiterer Grund, weshalb Gerswind während ihrer Abwesenheit ihre Tochter nicht in den kaiserlichen Gemächern wissen wollte. Sie glaubte zwar nicht, daß Judith ihrer Tochter absichtlich würde schaden wollen, aber dieses Mädchen verfügte über Kräfte, die sie noch nicht völlig unter Kontrolle halten konnte. Ein kleiner mißgünstiger Gedanke konnte da Fürchterliches anrichten, und darauf durfte sie es nicht ankommen lassen.
»Der Kaiser wird sehr ungehalten sein, wenn du plötzlich verschwindest«, meinte Emma nachdenklich, während sie Adeltrud auf ihren Knien schaukelte.
»Das kann ich nicht ändern«, erwiderte Gerswind ungeduldig. »Diese Reise ist lebensnotwendig, auch wenn ich weder ihm noch dir sagen darf, weshalb.«
»Du bist an einen Eid gebunden?«
»So könnte man es nennen. Aber wie komme ich nach Prüm? Es ist höchste Eile geboten!«
»Du wirst deine Gründe dafür haben, daß du nicht gestern mit den kaiserlichen Boten geritten bist«, meinte Emma. »Der junge Bernhard von Italien reist heute nach Fulda ab. Vielleicht kannst du ihn zu einem Umweg überreden.«
Bernhard saß bereits im Sattel, als Gerswind zu den Stallungen kam. Er schüttelte den Kopf, als sie ihn eindringlich bat, sie mit seinen Mannen nach Prüm zu geleiten.
»Der Kaiser will, daß ich in Fulda so schnell wie möglich auf mein künftiges Amt vorbereitet werde«, erklärte der Vierzehnjährige und setzte mit wichtiger Miene hinzu: »Ich soll schließlich meinem Vater als König von Italien nachfolgen.«
»Das ist der Wunsch des Kaisers, aber wenn du mir jetzt nicht hilfst, kann es durchaus sein, daß sein Nachfolger dir alle Rechte nimmt, dein Land einem seiner ehelichen Söhne gibt und dich wie seinen eigenen erstgeborenen Bastard Arnulf in ein Kloster sperrt. Wenn nämlich der nächste Kaiser Ludwig heißt, was Karl auf alle Fälle verhindern will. Er hat einen anderen Plan, und der ist für dich überaus günstig.«
Jetzt sperrte der Junge die Ohren weit auf. Wie alle am Hof war er höchst begierig zu erfahren, welchen seiner Söhne Karl zu seinem Nachfolger auf dem Kaiserthron ernennen würde. Die meisten Höflinge hofften auf Ludwig, da sie ihn für leichter beeinflußbar und damit ihren eigenen Zwecken dienlicher hielten. Der junge Karl war unzugänglicher und weniger berechenbar. Er hatte keine Freunde, und niemand konnte sagen, wie er sich als Kaiser verhalten würde. Das private Testament, das Karl vor wenigen Wochen aufgesetzt hatte und in dem er den größten Teil seiner beweglichen Habe der Kirche vermachte, gab nicht den geringsten Aufschluß darüber, wen er als Nachfolger auf dem Kaiserthron ausersehen hatte. Doch diese Frau mit dem seltsam weißblonden Haar bewohnte ein Gemach neben dem des Kaisers und hatte ihm ein Kind geboren. Bernhard konnte sich vorstellen, daß ein Mann der Gespielin im Bett vielleicht mehr verrät als den engsten Vertrauten. Dennoch zögerte er.
»Warum schickt der Kaiser keine Scara nach Prüm, wenn es so dringlich
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