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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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ausschweifend auseinander, wer ihn geärgert hatte, was ihn bewegte, was für ein Kapitular er herausbringen wollte oder welche Bibelstelle auf seine jetzige Lage zutraf. Anfangs hatte Gerswind noch geglaubt, daß er ihre Meinung einholen wollte, aber bald begriff sie, daß er in diesen Stunden nur einen Zuhörer für ein Selbstgespräch brauchte, um seine eigenen Gedanken zu ordnen. Jede Bemerkung wies er unwirsch zurück und schien sie als Unterbrechung oder Belästigung zu betrachten. Also blieb sie still, mühte sich, die Augen offenzuhalten, und stellte sich manchmal vor, ein Möbel unter Möbeln zu sein.
    Sie begriff jetzt auch, weshalb der Kaiser es nie nötig hatte, seinen Beratern seinen Willen aufzuzwingen, denn spätestens in den frühen Morgenstunden sorgte die Erschöpfung der anderen dafür, daß sie allem zustimmten. Einfach dadurch, daß er beharrlich wach blieb, schaffte es Karl, jeden in Grund und Boden zu reden.
    »Wollen wir uns hinlegen?«
    Nur auf diesen Satz erwartete er am Ende seiner Ausführungen von Gerswind eine Antwort. Wobei ihr nie eingefallen wäre, diese Frage zu verneinen, denn nach ihr hatte sie sich während der anstrengenden Stunden des Zuhörens gesehnt.
    Sie erwartete keinesfalls, daß Karl nun leidenschaftlich über sie herfallen würde wie in den ersten Monaten ihres Zusammenlebens. Da hatten sie einander erkundet, entdeckt und manchmal auch unwissentlich gequält. Da das Mißtrauen noch in beiden steckte, hatten sie sich oft mit solcher Heftigkeit geliebt, als ob sie dadurch die noch vorhandenen Zweifel vernichten könnten. Die waren inzwischen längst ausgeräumt. Karl vertraute Gerswind bedingungslos, und sie zog seine Liebe nicht einmal mehr dann in Frage, wenn sie wußte, daß er die Mittagsstunde im Frauenhaus verbracht hatte. Nach Krieg und Waffenstillstand war in ihr endlich Friede eingekehrt und damit ein Wandel im Beisammensein mit dem Kaiser.
    So war es in letzter Zeit immer häufiger vorgekommen, daß er sie nicht zu sich rief, sondern frühmorgens leise zu ihr ins Bett kroch. Dabei wurde sie zwar jedesmal wach, aber sie ließ es sich nicht immer anmerken. An der Art seines Atmens entschied sie, ob sie den Kaiser jetzt dem dringend benötigten Schlaf überlassen sollte oder ob er noch zu aufgewühlt war, um Ruhe zu finden.
    Dann stieß sie ihn sanft an, damit er sich auf den Rücken rollen ließ und sie sich auf ihn legen konnte. Irgendwann hatten beide entdeckt, daß ihnen diese Art der Begegnung, die von der Kirche streng verboten war, besonders viel Freude verschaffte. Gerswind liebte es, sich frei auf dem unter ihr liegenden Mann bewegen zu können. Und sie wußte, daß er es genoß, ihren eifrigen Leib auf sich zu spüren und ihrer Jugend die Kraft abzutrotzen.
    Manchmal, wenn sie sich schlafend stellte, streichelte er sie und küßte sie an verbotener Stelle, dort, wo sie nicht atmete. Der kleine Laut, der ihr dann jedesmal unwillkürlich entfuhr, ließ ihn innehalten. Bedächtig glitt er ihren Körper hinauf, bedeckte ihren Mund mit Küssen, ihren Leib gänzlich mit dem seinen und drang kraftvoll und fast unerträglich langsam in sie ein. Er entzog sich der schnellen Befriedigung, die sie suchte und verlangte, wenn sie auf ihm lag. Jetzt war er der Herr, der den Rhythmus bestimmte, und er hatte es nicht eilig. Er liebte sie, und dafür stand ihm alle Zeit der Welt zu Gebote.
    Doch oft lagen sie einfach nur eng nebeneinander. Dann mühte sich Gerswind, so lange wie möglich wach zu bleiben, denn sie kostete den Zeitpunkt aus, wenn beide Körper die gleiche Wärme aufwiesen und sie nicht mehr sagen konnte, wo ihr eigener Leib aufhörte und der Karls begann. Bisweilen glaubte sie sogar, nur für den Augenblick zu leben, da beide zu einem gemeinsam atmenden Wesen verschmolzen zu sein schienen. Wenn Karl eingeschlafen war und flach atmend neben ihr lag, fuhr sie manchmal mit dem Zeigefinger zärtlich über die Furchen in seinem Gesicht. Diese Stunden waren ihr unendlich kostbar, denn dann gehörte der Kaiser nicht seinem Reich, sondern ihr ganz allein. Aber es konnte geschehen, daß sie dabei auch große Angst packte und Fragen auf sie einstürmten. Wenn er nun nicht mehr erwachen würde? Erlosch die Liebe mit dem Tod? Wie würde das Leben ohne Karl weitergehen? Konnte es das überhaupt? Kreiste denn nicht ihr ganzes Sein um den Mann, der sie als Dreijährige am Hof behalten hatte? Würde man sie und Adeltrud mit Schimpf und Schande fortjagen? Was sollte dann aus

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