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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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nur etwas müde. Was ist aus dem Rest Eurer Familie geworden?«
    »Meine Töchter und die Schwägerin sind mit ihren Kindern in Denain geblieben. Da ist auch der alte Mann gestorben. Mich hat die Mutter Äbtissin hierhergeschickt, und ich bin ihr überaus dankbar. Vater Assuerus hat mich herzlich aufgenommen. Deswegen bin ich so betrübt über seinen Tod.« Nachdenklich blickte er auf das Mäuerchen neben Gerswind. »Vielleicht hätte ich ihm den Wein nicht bringen sollen.«
    »Welchen Wein?«
    »Irgend jemand hat einen Weinschlauch im Garten liegen lassen, und da wollte ich unserem ehrwürdigen Vater eine Freude machen. Aber vielleicht war dieser Wein stärker als der, den er sonst in sein Wasserglas träufelte. Vielleicht hat das seinen Tod herbeigeführt. Dieser Gedanke ist mir eine große Last.«
    Begütigend klopfte Gerswind dem alten Mann auf die Schulter.
    »Bestimmt nicht«, sagte sie zuversichtlicher, als sie sich fühlte. »Vater Assuerus war so alt wie die Berge. Seine Zeit war gekommen, und du hast ihm mit dem Wein eine letzte Freude bereitet.«
    »Möget Ihr recht haben. Gott schütze Euch!« rief er Gerswind noch nach, als sie sich zum Gehen wandte. Sie mußte schnell fort. In Prüm blieb ihr nichts mehr zu tun. Also schloß sie sich einem Reisezug an, der Bier und Tuch nach Aachen bringen sollte, und kehrte mit schwerem Herzen wieder heim.
    Als der Quartiermeister den Kaiser darüber in Kenntnis setzte, daß Gerswind mit Bernhard fortgeritten war, nickte Karl nur gleichmütig, als wäre er über diese Tatsache längst im Bilde. Erst als sich die Tür hinter dem Hofbeamten geschlossen hatte, verfinsterte sich sein Gesicht.
    Was fiel Gerswind ein! Unerhört, sich ohne ein Wort davonzustehlen! Was hatte sie in Fulda zu suchen? Was erlaubte sie sich, ohne Genehmigung den Hof zu verlassen! Ihn zu verlassen! Sie war nicht mehr das wilde kleine Mädchen, das unbekümmert in die Welt hinaustrottete. Sie war … meine Geliebte, dachte er. Wie Madelgard, Regina, Hroswitha, Odila, Rathild und Adalinde. Doch es war undenkbar, daß eine dieser sechs anderen Frauen einfach aus seinem Leben hinaushuschen würde. Daß auch nur eine den Wunsch dazu verspürte. Sie alle waren froh und dankbar über die Geborgenheit, die er ihnen innerhalb der Mauern des Frauenhauses verschaffte, und zeigten ihm ihre unverminderte Zuneigung durch das Bemühen, es ihm stets recht zu machen. Diese Frauen, die – er mußte es zugeben – erheblich größeren Anstand wahrten als seine eigenen Töchter, lebten durch und für ihn. Und sie betrachteten dies als eine gewaltige Ehre. Denn der Kaiser hatte sie unter Unzähligen auserwählt.
    Bei Gerswind war alles anders. Konnte er von den anderen mit Recht behaupten, daß er sie besaß, so traf das auf die Frau, die im Gemach nebenan lebte, nicht zu. Sie gehörte ihm nicht; sie gehörte zu ihm. Und das hatte er von Anbeginn gespürt.
    Er erinnerte sich, daß schon von dem kleinen Mädchen, das er als Geisel am Hof behalten hatte, eine gewisse Macht ausgegangen war, ein Zauber, dem er sich nicht hatte entziehen können. Er konnte nicht mehr sagen, warum es ihm damals unmöglich erschienen war, sie ihren Eltern zurückzugeben. Es war wie eine Ahnung gewesen, daß ihre Geschicke untrennbar miteinander verbunden seien. Sie hatte sein Herz gerührt wie ein Ruf aus ferner, längst verschollener Vergangenheit. Er hatte sich oftmals gefragt, ob dies daran liegen mochte, daß sie den heidnischen Ursprung seines eigenen Seins in einer gewissen kindlichen Reinheit verkörperte. Hielt sie ihm etwa das Feuer vor Augen, das er – wie schon sein Vater und Großvater – mit solchem Ingrimm auszulöschen bemüht war? Auch deshalb, weil es noch in ihm selbst glomm und nicht nur in seinen Träumen aufflackerte?
    Er sah zu dem Holzkästchen, das den Eberzahn beherbergte, den er von seinem Vater geerbt hatte. Lange Zeit hatte er ihn um den Hals getragen und sich heimlich davon Kraft erhofft. Vor einer entscheidenden Schlacht gegen die Sachsen hatte er ihn sich unwillig vom Hals gerissen, fest entschlossen, seinem eigenen Aberglauben zu widerstehen. Er, damals König der Christenheit, durfte sich doch nicht an einen Gegenstand hängen, der angeblich mit Kraft geladen war! Wenn schon, dann mußte es ein geweihtes Objekt sein, das, wie der Mantel des Heiligen Martin, einem Märtyrer des wahren Glaubens zugeordnet wurde! Warum zweifelte er an der Kraft des Mantels, dessen eine Hälfte sich in seinem Besitz befand

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