Die Beutefrau
hier nach dem Rechten sehen.«
So schnell wollte Gerswind nicht aufgeben. Eine Woche lang versuchte sie, Pippin umzustimmen. In schwärzesten Farben malte sie ihm aus, was dem Reich blühte, wenn nicht er, Pippin, sondern beispielsweise Ludwig dem Kaiser nachfolgte.
»Die meisten halten ihn für den besseren Thronerben, weil er drei eheliche Söhne hat«, führte sie an einem Nachmittag aus, als sie ihn wieder im Klostergarten aufspürte. »Aber keiner scheint zu sehen, daß sogar diese Söhne ihren Vater von grundauf verachten und sich gegenseitig ständig in die Haare geraten. In Ludwigs Familie ist jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht! Keiner macht sich Gedanken über die gewaltigen Aufgaben, die in diesem Reich der Lösung harren! Ludwigs Sohn Lothar – er ist jetzt immerhin schon sechzehn – behauptete neulich allen Ernstes, in der Bibel stehe, das Volk sei für den Kaiser da und nicht der Kaiser für das Volk! Was soll aus deines Vaters Werk werden, wenn so jemandem einst das Zepter zufällt!«
»Das liegt in Gottes Hand«, erwiderte Pippin leise und erhob sich. »Deine Sorge um meinen Vater und sein Reich ehrt dich, Gerswind, aber ich kann sie dir nicht nehmen. Und du mußt wissen, daß ich auch nicht wieder mit dir sprechen werde. Weder über das Reich noch über meine Familie oder irgend etwas anderes, denn morgen werde ich ein Schweigegelübde auf unbestimmte Zeit ablegen. Leb wohl, du schönes kleines Sachsenmädchen mit den großen Träumen. Wenn wir uns unter anderen Vorzeichen begegnet wären, hätte ich dich zum Weib genommen.«
Abrupt wandte er sich ab und ging langsam zum Abteigebäude, in das Gerswind ihm nicht folgen durfte.
Tränenblind sah sie ihm nach. Seine letzten Worte hatten sie zutiefst erschüttert. Und erst allmählich drang zu ihr durch, daß sie in ihrer Mission gescheitert war.
»Gottlob! Welch Wunder, Euch wiederzusehen!«
Erschrocken wandte sich Gerswind um. Humpelnd kam ein alter Mann auf sie zu und sah sie aus hellblauen Augen freundlich an. »So kann ich Euch endlich dafür danken, daß Ihr meiner Familie das Leben gerettet habt!«
Gerswind schüttelte den Kopf. Dunkel entsann sie sich, diesen Mann vor Jahren einmal kurz gesprochen zu haben, nachdem sie ihn bei Frau Bertas Villa umgerannt hatte und wie durch ein Wunder der irdene Krug in seinen Händen heil geblieben war. Aber weshalb sollte sie dadurch seine Familie gerettet haben?
»Ihr seid doch die Tochter der Geva?« fuhr der Mann aufgeregt fort. »Könnt Ihr Euch nicht mehr an jene Nacht im Wald erinnern? Als Ihr so unvermittelt bei uns erschienen seid? Und uns den Rat gabt, die Äbtissin von Denain aufzusuchen? Weil Ihr wie ein Wesen aus einer fremden Wirklichkeit auftauchtet, wie eine Erscheinung aus der Götterwelt, habe ich Euch damals mit Berchta angeredet. Hungrig und ausgebrannt warteten wir alle auf eine Erlösung, und Ihr habt sie uns gebracht.«
»Das war doch nur ein Traum«, murmelte Gerswind unsicher. Der Mann legte die Hand ans Ohr. »Entschuldigt mich, aber mein Gehör ist heute genauso schlecht wie das der guten Äbtissin damals. Friede ihrer Asche.«
»Friede ihrer Seele«, verbesserte Gerswind. Bei den Worten des Mannes hatte es sie innerlich geschüttelt. Alle Ereignisse in der Nacht von Teles' Tod hatte sie einer Sinnestäuschung und ihrer Einbildung zugeordnet. Doch jetzt stand der alte Sachse vor ihr, mit dem sie in jenem Traum geredet hatte. Hieß dies, daß sie in dieser Nacht auch wirklich mit Teles gesprochen hatte? War es tatsächlich möglich, daß die Ahnen und einst Nahestehende über den Tod hinaus erreichbar waren? Die alte Lehre behauptete dies. Teles, flehte sie ihren alten Freund an. Sorge für meine Tochter, Judith und mich!
»Ist Euch nicht gut?« fragte der alte Mann beunruhigt. »Soll ich Euch einen Becher Wein besorgen?«
Gerswind schüttelte den Kopf. Die Gespräche mit Pippin hatten ihr viel abverlangt. Betroffen erkannte sie, daß ihrem Wunsch, Pippin an den Hof zu holen, reine Selbstsucht zugrunde lag. Die Sicherung ihrer Zukunft. Sie hatte nicht einmal in Erwägung gezogen, daß er ihrem Drängen widerstehen könnte. Warum auch? Schließlich war keiner der Karlssöhne ihr gegenüber gleichmütig geblieben. Wenn wir uns unter anderen Vorzeichen begegnet wären, hätte ich dich zum Weib genommen. Sie musterte den alten Mann, den sie zu einer Zeit kennengelernt hatte, da sie bereit gewesen war, Carolino zu heiraten.
»Danke«, antwortete sie ihm. »Ich bin
Weitere Kostenlose Bücher