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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Judith werden?
    An einem Abend, als im Akademiezimmer nüchtern über das Testament des Kaisers gesprochen wurde, in dem keine seiner Beischläferinnen oder deren Kinder bedacht waren, faßte sie sich ein Herz und fragte Karl geradeheraus, was aus ihr, Adeltrud und Judith werden solle, wenn er einmal nicht mehr war. Er nahm sie in die Arme, küßte sie und flüsterte ihr ins Ohr, daß er derzeit an einem Zusatz zu seinem letzten Willen arbeite. »Den gebe ich bekannt, sobald ich aus Byzanz Antwort habe. Erst wenn mich der oströmische Kaiser in einer Schrift als gleichrangigen Bruder anerkennt, weiß ich, daß mein Kaiserthron Bestand haben wird. Sorge dich nicht, meine Schöne, ich werde nicht sterben, ehe ich alles für euch geregelt habe.«
    Drei Tage später traf die Nachricht vom gewaltsamen Tod des Kaisers Nikephoros in Aachen ein. Er war in Thrakien von bulgarischen Soldaten erschlagen worden. Sein Sohn starb wenig später an den Wunden, die er sich bei dem gleichen Gemetzel zugezogen hatte. Es hieß, der Schwager des Nikephoros, Hofmarschall Michael, habe sich daraufhin des Kaiserthrons bemächtigt.
    Karl konnte dieser Entwicklung nur Erfreuliches abgewinnen: »Dieser Michael bedarf meiner Unterstützung genau wie ich seiner. Du wirst sehen, Gerswind, die Beziehungen zu Ostrom werden wieder ins Lot kommen. Ha, was wird Papst Leo toben!«
    Gerswinds Stolz ließ es nicht zu, weiter in ihn zu dringen oder ihn gar darum zu bitten, ihre Zukunft und vor allem die ihrer Tochter abzusichern. Die Zukunft ist ungewiß, erinnerte sie sich an einen Lieblingssatz von Teles, dem er meistens noch einen Satz von Plato hinzugefügt hatte: Tue das Deine und erkenne dich selbst.
    Und solange Karl lebte, waren sie und ihre Tochter in Sicherheit. Und sollte ihm der bucklige Pippin nachfolgen, würde sie auch weiterhin am Hof ein Auskommen haben. Sie mußte unbedingt alles daransetzen, Pippin davon zu überzeugen, daß er in Aachen gebraucht wurde. Und wenn sie schaffte, was den beiden Boten nicht gelungen war, würde Karl sie wegen ihres plötzlichen Verschwindens nicht nur nicht maßregeln, sondern ihr goldene Kränze winden …
    Solches dachte sie, als sie in Prüm das Tor zum Klostergarten aufstieß. Sie verdrängte rasch all die Erinnerungen, die dabei auf sie einstürmten. Wie weit lag doch jener Tag zurück, an dem Königin Fastrada die Näherin Linde zu sich befohlen und die kleine Sächsin unter den Wespenstichen nicht erkannt hatte! Wie fern waren jene Stunden, da sie mit Hruodhaid hier ein- und ausgegangen war, jene, in denen sie mit Pippin wie mit einem großen Bruder über Schuld und Sühne gesprochen hatte!
    Sie sah ihn sofort. Er kniete nahe der Pforte auf dem Boden und jätete Unkraut. Als er aufblickte, erschrak sie. Sein Gesicht war bleich wie Linnen.
    »Was ist mit dir?« fragte sie ohne jegliche Vorrede.
    Er lächelte traurig.
    »Welch eine Überraschung, dich zu sehen, Gerswind, ich grüße dich. Du bist wie ein Sonnenstrahl an einem Tag mit schwarzen Wolken. Heute mittag ist unser Vater Assuerus verschieden. Gott sei seiner Seele gnädig.«
    »Amen«, bekräftigte Gerswind bestürzt. »Friede sei mit ihm. Das ist eine furchtbare Nachricht, Pippin. Hat er leiden müssen?«
    »Er litt ja schon seit Jahrzehnten unter seinen Gallenkoliken. Aber jetzt zum Schluß, nein, da hat er nicht gelitten, sondern ist friedlich vor seinem halbvollen Becher eingeschlafen.«
    Ein kleines trauriges Lächeln stahl sich in Pippins Mundwinkel. »Sein Ärmel war noch naß, als wir ihn fanden. Daraus schließen wir, daß es recht schnell gegangen ist.«
    »Sein Ärmel?«
    »Ja, seit einiger Zeit hatte er die seltsame Angewohnheit, seinen Ärmel in Wein zu halten und ihn dann im Wasserglas austropfen zu lassen.«
    Gerswind erinnerte sich an ihre letzte Begegnung mit Vater Assuerus und an ihren damaligen Ratschlag. »Der Wein wird ihn doch nicht umgebracht haben?« fragte sie erschrocken.
    »Wohl kaum. Unser Vater Abt war sehr alt. So alt wie die Berge, pflegte er selbst zu sagen. Seine Zeit war gekommen, und der Herr hat ihn gerufen.«
    Das war ein Stichwort.
    »Es gibt viele verschiedene Arten von Rufen«, sagte Gerswind leise. »Und es gibt einen weltlichen Herrn, Pippin, der dich ruft und dich braucht.«
    Er schüttelte den Kopf. »Gib dir keine Mühe, Gerswind, was ich den kaiserlichen Boten gesagt habe, gilt auch für dich. Mein Platz ist hier. Vor allem nach dem Heimgang unseres guten Abts. Bis ein neuer bestellt ist, muß ich

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