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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Rotrud. Und entfremdete ihn den anderen erwachsenen Kindern.
    Ein lauter melodischer Klang ließ ihn zusammenzucken.
    »Die Zimbel der Wasseruhr«, sagte Gerswind sachlich, die besorgt das kummervolle Gesicht Karls gemustert hatte. Er blickte zu dem Meisterwerk der Handwerkskunst, das ihm einst sein Freund Harun al-Raschid – auch der war jüngst verschieden – zugesandt hatte und das er in Gerswinds Gemach hatte aufstellen lassen. Diese Messinguhr maß den Verlauf der zwölf Stunden, bei deren Vollendung zwei Kügelchen herabfielen und durch ihren Fall eine darunter befestigte Zimbel ertönen ließen. Karl stellte sich vor das Werk und sah zu, wie zwölf Reiter durch zwölf sich öffnende Tore heraussprangen und sich die Tore durch den Schwung ihres Sprunges wieder schlossen.
    »Und abermals ist eine Stunde vergangen«, sagte er. »Ein solches Meßwerk scheint die Zeit zu beschleunigen und alles schneller vergehen zu lassen. Das Leben ist so kurz … Versprich mir, Gerswind, daß du nie mehr ohne ein Wort verschwinden wirst!«
    »Ich bin doch kein kleines Kind mehr!«
    »Eben. Als kleines Kind bist du ständig fortgelaufen, und jedesmal habe ich Ängste um dich ausgestanden …«
    »Aber du hast nur einmal Suchtrupps nach mir ausgeschickt …« Ihre Stimme verlor sich. Als du mich meinem Schicksal als Geisel zuführen wolltest. Als du mich töten lassen wolltest. Sie sprach es nicht aus.
    Im Herbst nahm Karl Gerswind wieder mit ans Meer. An der nördlichen Atlantikküste inspizierte er die Flottenzurüstung, sah sich dann in Gent seine neuen Schiffe an und stattete auf dem Rückweg Saint Riquier einen Besuch ab. Abt Angilbert hielt sich jetzt nur noch selten in Aachen auf, was Karl bitter beklagte.
    »Berta und deine Söhne sehnen sich nach dir«, sagte er. »Und du fehlst mir auch. Gerade jetzt brauche ich einen meiner ältesten und treusten Berater um mich. Alle bedrängen mich, meine Nachfolge zu regeln. Was meinst du, wer sollte nach mir Kaiser werden?«
    Da sich nahezu alle Geistlichen für den frommen Ludwig ausgesprochen hatten, war Gerswind höchst überrascht und erfreut, als Angilbert, ohne zu zögern, den gleichnamigen Sohn des Kaisers nannte.
    »Kaiser Karl der Zweite«, sagte er. »Möge Gott den Tag dieses Rufs noch lange hinausschieben, aber wenn du zwischen Karl und Ludwig wählen mußt, kann es da keinen Zweifel geben. Außerdem …«, der Abt lächelte verschmitzt, »ist dadurch eine gewisse Kontinuität gewahrt. Das Volk hat sich an den Namen Karl gewöhnt. Allerdings muß sich dein Sohn schleunigst eine Gemahlin zulegen, die ihm den erforderlichen Thronfolger gebiert. Mit seinen drei ehelichen Söhnen hat Ludwig ihm da einiges voraus. Aber es sollte sich doch eine geeignete Königstochter finden lassen! Oder noch etwas Besseres! Hat dieser neue Kaiser von Byzanz denn keine Tochter? Sonst hätte ich da noch einige Vorschläge …«
    Während sich Karl und Angilbert über die Vorzüge der diversen Grafentöchter im eigenen Reich unterhielten, dachte Gerswind, wie anders alles gekommen wäre, wenn Karl damals ihrer Heirat mit seinem Sohn zugestimmt hätte. Dann wäre ihre Zukunft nach Karls Tod nicht nur gesichert gewesen, sondern sie selbst wohl irgendwann Kaiserin des Reichs geworden. Aber dann hätte sie nicht mit dem Mann gelebt, den sie liebte.
    Beim Abschied aus Saint Riquier nahm Karl Angilbert das Versprechen ab, zum Weihnachtsfest endlich wieder an den Hof zu kommen.
    Es sollte das traurigste Weihnachtsfest im Leben Karls werden. Noch bevor der Zug des Kaisers in den Hof einritt, spürte Gerswind, daß etwas Fürchterliches geschehen sein mußte. Sie hätte nicht sagen können, woher sie diese Ahnung nahm, denn den Heimkehrenden wurde in den Gassen Aachens der gleiche Empfang wie nach jeder Reise bereitet. Jubelnde Menschen säumten die geschmückten Straßen, von den Wehrbauten flatterten bunte Fahnen, Kinder liefen lärmend neben den Pferden her und sammelten die Münzen ein, die ihnen von den Begleitern des Kaisers zugeworfen wurden, und von überall her erschollen Rufe, die den Kaiser begrüßten und hochleben ließen.
    Doch als Karl sein Palatium betrat, ließen die ernsten Gesichter der in der Vorhalle versammelten Höflinge Böses ahnen. Der Hofmeister trat vor und raunte dem Kaiser etwas zu. Karl wurde aschfahl. Sein mächtiger Leib begann zu zittern, und Gerswind fürchtete schon, der Kaiser würde zu Boden stürzen. Zwei Höflinge sprangen herbei, um ihn zu stützen. Karl

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