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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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fest.
    »Gerswind«, hörte sie eine heisere Antwort vom Bett.
    »Karl!« sagte sie wieder, diesmal zum Sohn des Kaisers. Sie strich ihm sanft über die Wange.
    Er öffnete den Mund, konnte aber keine vernehmlichen Worte ausstoßen.
    »Ich bin bei dir«, flüsterte Gerswind und näherte ihr Ohr seinen Lippen.
    »Ludwig …«, hauchte Karl.
    Gerswind fuhr hoch. Also doch! Ludwig steckte hinter der Krankheit seines Bruders, und der junge Karl wußte es! Jetzt endlich würde die Wahrheit ans Licht kommen! Der Kaiser mußte diese Ungeheuerlichkeit unbedingt selbst hören! Erregt rüttelte sie den Schlafenden an der Schulter.
    »Wach auf, Karl!« schrie sie, und dabei entgingen ihr die letzten, schwach hervorgebrachten Worte des Sterbenden: »… wird jetzt Kaiser werden.«
    Als sich der Vater über das Bett des Sohnes beugte, war Karl der Jüngere tot.
    Noch am selben Morgen schrieb Gerswind den wichtigsten Brief ihres Lebens. Sie vertraute ihn dem Sohn der ihr ergebenen Magd Lindmuth an, forderte ihn auf, das Schreiben unverzüglich nach Prüm zu bringen, und sorgte selbst dafür, daß dem jungen Mann ein schnelles Pferd zur Verfügung gestellt wurde.
    »Von diesem Brief hängt das Wohl des gesamten Reiches ab«, bleute sie ihm ein. »Vernichte ihn augenblicklich, wenn du dich in Gefahr befindest, und händige ihn in Prüm vor allem niemand anderem als dem Sohn des Kaisers aus!«
    In ihrem Schreiben hatte sie scharfe Worte gefunden, um Pippin an seine Pflichten als Kaisersohn zu erinnern. Er habe für den frevlerischen Plan seiner jungen Jahre im Kloster Buße tun wollen, schrieb sie, doch es sei sicherlich nicht im Sinne des Herrn, daß er dadurch das gewaltige Werk seines Vaters zugrunde richte. Und das tue er, wenn er weiter nichts unternehme, als im Kloster zu beten, zu fasten, zu schweigen und Unkraut zu jäten. Sie entsann sich eines Spruchs, den sie einmal von Achmed gehört hatte: »Schiffe sind am sichersten im Hafen, doch dafür werden sie nicht gebaut.« Er müsse jetzt handeln, das sei er denen seiner Familie schuldig, die er einst hatte ermorden lassen wollen. Das sei er dem Vater schuldig, der ihm gegenüber Gnade hatte walten lassen. Denn nur er, Pippin, könne Ludwig jetzt noch Einhalt gebieten und verhindern, daß der Verbrecher Kaiser werde.
    Gerswind wunderte sich nicht im geringsten, als am Abend von Carolinos Todestag Ludwig mit seinem Gefolge in Aachen einritt. Sie verzog angewidert das Gesicht, als der jüngste eheliche Sohn des Kaisers Tränen um seinen älteren Bruder vergoß. Er sei gekommen, sagte er, um mit seinem Vater das Weihnachtsfest zu feiern, und sei dem Herrn dankbar, daß er dem Kaiser jetzt in seiner Trauer beistehen könne.
    Mörder, dachte Gerswind und floh aus dem Zimmer. Im Gang stieß sie mit dem Sohn der Magd Lindmuth zusammen.
    »Wieso bist du nicht schon längst nach Prüm unterwegs?« rief sie empört.
    Er verneigte sich vor ihr, wie es ihn seine Mutter gelehrt hatte.
    »Ich kann nicht sonderlich gut reiten«, gestand er, »und Ihr sagtet, es sei eilig und dringlich. Da war es wie ein Wunder, daß mir vor den Toren Aachens der König von Aquitanien mit seinem Gefolge begegnete.«
    Gerswind wurde bei diesen Worten schwindlig. Sie stützte sich an der Wand ab.
    »Und da hast du einem seiner Boten den Brief gegeben«, sagte sie tonlos.
    Der Sohn der Magd Lindmuth schüttelte den Kopf.
    »Natürlich nicht«, entgegnete er empört. »Ihr sagtet doch, daß es um das Wohl des Reiches gehe und der Brief nur dem Sohn des Kaisers ausgehändigt werden solle. Also habe ich ihm dem König von Aquitanien überreicht. Das war gar nicht so einfach, da man mich zunächst nicht zu ihm durchlassen wollte! Aber König Ludwig hat das Schreiben dann höchstselbst gelesen und mir daraufhin versichert, sein Bote sei tausendfach geschwinder, als ich es sein könnte. Er versprach mir, dieser Bote werde sich – wie Ihr mir ja aufgetragen habt – in Prüm ausschließlich an seinen Bruder, den anderen Sohn des Kaisers, wenden.« Er sah Gerswind unsicher an und setzte hinzu: »Damit hat sich doch alles trefflich gefügt, meint Ihr nicht auch?«
    Gerswind antwortete nicht.
    Drei Wochen nach Carolinos Beerdigung traf in Aachen die Nachricht vom Tod des ältesten Karlssohns Pippin in Prüm ein. Der neue Abt Vater Dankrad schrieb dem Kaiser, der Mönch sei bei der Sext in der Kirche umgefallen. Sein Herz habe einfach aufgehört zu schlagen.
    Gerswind stand neben Karl, als er die fürchterliche

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