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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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doch er, Karl, ging noch einen Schritt weiter und nutzte den Baustoff der Heiden zu christlichen Zwecken wie das Holz der Donar-Eiche für seinen Thron in der Pfalzkapelle und die heidnischen Geschichten zur Belehrung.
    Gerswind würde stets sein heidnisches Sachsenmädchen bleiben, auch wenn sie zu seinem einzigen und wahrhaftigen Gott betete. Wenn der sie nicht erhörte, wandte sie sich vielleicht Saxnot zu. Oder Wotan.
    Doch was konnten Götter, die es nicht gab, schon ausrichten! Die Erkenntnis erschütterte ihn, daß auch tief in ihm, dem Kaiser der Christenheit, noch immer heidnische Wurzeln wucherten. Er gestand sich ein, daß er lange insgeheim geargwöhnt hatte, gegen wahrhaftige Götter zu kämpfen, nicht nur gegen Menschen, die an sie glaubten. Er bekriegte Menschen, die bestimmte Bäume, Quellen und Steine verehrten, weil er tatsächlich glaubte, daß sie dort die Anwesenheit ihrer Götter verspürten. So wie er Jesu Gegenwart gewahr wurde, wenn er in seiner Pfalzkapelle mit dem Mosaikbild Zwiesprache hielt. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, die Bilderverehrung der Ostkirche zu verdammen. Die Menschen – und da war er keine Ausnahme – brauchten etwas Sichtbares und Greifbares für ihren Glauben. Man mußte ja nicht so weit wie Pythagoras gehen, der behauptet hatte, die Menschen nähmen eine neue Seele in sich auf, wenn sie sich den Bildnissen der Götter näherten. Aber man sollte erkennen, daß man mehr von den Meinungen gepeinigt wird, die man von den Dingen hat, als von den Dingen oder Göttern selbst.
    Endlich gestand er sich ein, Gerswind auch wegen der unschädlichen heidnischen Restbestände in ihrem Wesen zu lieben. Denn in diesen Überbleibseln einer alten Zeit wurzelte auch sein Glaube an die Kraft des Weiblichen.
    Immer wieder überkam ihn Angst, diese Frau zu verlieren. Obwohl sie sich ihm in den vergangenen Jahren kein einziges Mal verweigert hatte, fürchtete er bei jeder Annäherung eine Zurückweisung. In der alten Heimat gab es Landstriche, die er nicht erobern konnte und durfte. Vor langer Zeit hatte er Liutgards Weigerung, das Lager mit ihm zu teilen, angenommen, doch Gerswind war die einzige Frau in seinem Leben, der er es gestattet hatte, ihm weitaus stärker befestigte Grenzen zu setzen. Und damit tat er sich schwer.
    Nachdem sie zurückgekehrt war, wartete er, bis er wußte, daß sie in ihrem Gemach allein war. Dann polterte er, ohne anzuklopfen, hinein.
    »Was hast du dir dabei gedacht!« schrie er sie an. »Du kannst doch nicht einfach ohne ein Wort verschwinden!«
    »Hättest du mich denn gehen lassen?«
    »Natürlich nicht!«
    »Aber du, Karl, wirst eines Tages gehen und mich allein lassen!« gab sie kühl zurück. »Ich wollte Pippin davon überzeugen, an den Hof zu kommen, damit du dereinst den würdigen Nachfolger hast, den du dir selbst wünschst. Ich bin gescheitert. Dennoch bin ich froh, daß ich Vater Assuerus das letzte Geleit geben konnte.«
    Betroffenheit verdrängte augenblicklich Karls Ärger. Auch er war dem Abt sehr zugetan gewesen. Mit Vater Assuerus war der letzte Mensch gestorben, der ihn seit seiner Kindheit gekannt hatte. Der letzte, der mehr um das Geheimnis seiner Eltern und seiner Geburt wußte als irgendein noch Lebender. Und der erste, den Karls Kritzeleien auf dem Wachstäfelchen zur Verzweiflung getrieben hatten.
    Die alte Welt, in die Karl hineingeboren war, löste sich zusehends auf. Die neue, die er selbst geschaffen hatte, bot ihm wenig Geborgenheit. Er mußte über ihr thronen, und gerade dadurch schien er sich ihr mit jedem Tag zu entfremden. Er erließ ein Kapitular nach dem anderen, hatte Königsboten eingestellt, die im Lande nach dem Rechten zu sehen hatten, doch wie es da draußen wirklich aussah, ob er das Los des Volkes tatsächlich verbessert hatte, würde er nie erfahren. Er hatte einst geglaubt, dazu auserkoren zu sein, die christliche Welt zu einigen und sie als gütiger Patriarch zu beherrschen. Und hatte er das nicht auch tatsächlich erreicht?
    Karl der Große. Ein stolzer Beiname, gewiß, doch ihn fröstelte jedesmal, wenn er ihn vernahm. Denn nur er allein konnte ahnen, wie viele Menschen dies Glück und Leben gekostet hatte. Auch in der eigenen Familie. Zum ersten Mal seit Jahren dachte Karl an seinen frühverstorbenen Bruder Karlmann, dem gegenüber er sich mehr als nur einer Sünde schuldig gemacht hatte. Jetzt strafte ihn Gott. Nahm ihm den Sohn, der einst auch Karlmann geheißen hatte. Und seine geliebte Tochter

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