Die Beutefrau
befehligen zu können, war zu verlockend, als daß sie den Anweisungen des Goldschmieds nicht gefolgt wäre. Als erstes spürte sie, wie der ewige Zahnschmerz von ihr wich. Sie schloß dankbar die Augen, sog den Rauch noch tiefer ein und hörte wie von Ferne die Stimme des Goldschmieds: »Überlegt Euch gut, was Ihr Euch wünscht!«
Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie anstelle des Rings in der Schale eine zusammengerollte Schlange.
»Hilf mir«, zischelte die Schlange. »Eine Kröte sitzt auf meinen Eiern und behauptet, es wären jetzt ihre. Fälle ein gerechtes Urteil, und ich werde dir dienen.«
»Die Eier stehen dir zu«, erklärte Fastrada nach kurzem Überlegen. »Ein jedes kümmere sich um seine eigene Brut und werfe das Fremde aus dem Nest. So soll es sein.«
Die Schlange richtete sich auf. Ihre Augen funkelten wie Diamanten. »Ich danke dir, Königin, und diene dir mit Freuden. Was wünschst du?«
»Daß mich der König ewig begehren möge«, erwiderte Fastrada, ohne lange nachzudenken.
»So geschehe es«, sagte die Schlange und verwandelte sich vor den Augen Fastradas wieder in den Ring.
»Ich hoffe, Ihr seid mit meiner Arbeit zufrieden«, hörte sie hinter sich die Stimme des Goldschmieds. Als sie sich umwandte, sah sie in seiner Hand genau jenen Ring, der soeben noch in der Schale gelegen hatte. Verwundert drehte sie sich um. Die Schale war verschwunden, die Luft frei von Rauch, und statt eines Widderkopfes hing über der Tür ein vertrockneter Blütenkranz. Fastrada schloß die Augen. Hatte sie sich alles nur eingebildet?
»Ist Euch jetzt besser?« fragte der Goldschmied. »Mir schien, Euch überkam ein Anfall der Schwäche.«
Fastrada schüttelte leicht benommen den Kopf. In ihrem Oberkiefer hatte das Pochen wieder eingesetzt. Sie würde sich noch einen Zahn ziehen lassen und ein anderes Lächeln einüben müssen, das auch die neue Lücke verbarg. Hätte sie sich vielleicht doch lieber gesunde Zähne wünschen sollen? Aber nein, der Leidenschaft des Königs würde es jetzt auch keinen Abbruch tun, wenn ihr Mund dem eines zahnlosen alten Weibes glich. Mit einem Finger fuhr sie über die Oberfläche des Steins und bemerkte wie nebenbei: »Er ist wahrlich von dämonischer Schönheit, findet Ihr nicht auch?«
Der Goldschmied verneigte sich und öffnete der Königin die Tür.
Gerswind hatte den Hinrichtungsort Hals über Kopf verlassen und war, so schnell sie konnte, den Pfad an der Donau entlanggerannt. Beim Laufen versuchte sie, die scheußlichen Bilder abzuschütteln, deren Zeugin sie geworden war, doch es war hoffnungslos: Die Szenen holten sie immer wieder ein. Noch bevor sie sich außer Atem am Wegesrand fallen ließ, stieg ein neues Bild in ihr auf: Sie sah, wie der König seinen eigenen Sohn, den buckligen Pippin, zum Tode verurteilte und ihm mit einem einzigen Schwertstreich den schönen Kopf vom Rumpf trennte.
Gequält schrie Gerswind auf. Sicher, Pippin hatte Furchtbares geplant, doch er war der Sohn des Königs. Und ihm war großes Unrecht angetan worden. Natürlich wußte sie, daß Pippins Mutter am Hof als ›unwichtige Friedelfrau‹ bezeichnet wurde. Sie hatte allerdings ein Gespräch zwischen zwei bayerischen Edelfrauen mitangehört, die sich darin einig waren, daß Karl mit Himiltrud rechtsgültig verheiratet gewesen war. Und das machte sie zu einer sehr wichtigen Frau.
»Einer außerehelichen Beischläferin hätte der König nie gestattet, ihrem Sohn den ehrwürdigen Namen seines eigenen Vaters zu geben«, hatte die Ältere erklärt und die andere daran erinnert, daß damals Karls Bruder König Karlmann noch am Leben gewesen sei. Dieser habe seinen Erstgeborenen ebenfalls Pippin genannt, was zu einem regelrechten Wettstreit geführt habe. Die Zeit hätte zeigen sollen, welcher Pippin sich als der Stärkere erweisen würde. Doch falls Karlmanns Pippin noch lebe, friste er in irgendeinem Kloster sein Dasein, hatte die Edelfrau gemutmaßt. Der heutige König Karl hatte die Nachkommen seines Bruders um ihr Erbe betrogen. Genau wie seinen eigenen Erstgeborenen, denn nachdem Königin Hildegard mit neuen Königssöhnen niedergekommen war und sich bei Karls Pippin der Buckel zeigte, hatte ihn Karl seiner Rechte beraubt und sich seiner Gegenwart entledigt.
Und nun möglicherweise für immer! Gerswind stiegen Tränen in die Augen, als ihr deutlich wurde, daß sie selbst das Schicksal des armen Buckligen entschieden haben könnte. Ihr war der vernachlässigte Königssohn stets mit
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