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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Freundlichkeit begegnet.
    Warum nur hatte sie sich Fardulf anvertraut! Warum war sie nicht erst zu Teles gegangen! Der hätte einen Weg gefunden, das Unheil abzuwenden ohne solche schlimmen Folgen, dessen war sie sich gewiß.
    Fardulf! War das nicht seine Stimme? Rasch erhob sich Gerswind vom Wegesrand und lauschte angestrengt. Ja, er rief sie, das bildete sie sich nicht ein. Weshalb suchte er nach ihr? Es war doch nichts Besonderes, daß sie sich für mehrere Stunden vom Hof entfernte. In dem Augenblick fiel ihr eine Geschichte ein, die ihr Teles erzählt hatte. In seiner Heimat sei es nicht ungewöhnlich gewesen, den Überbringer übler Nachricht zu töten. Und sie hatte Fardulf eine höchst üble Nachricht überbracht! Fardulf, der sie vom Baum geholt hatte, war zwar stets ihr Freund gewesen, aber sie lebte schon sehr lange am Hofe des Frankenkönigs und wußte, wie schnell gerade aus Freunden Feinde werden konnten. Die Stimme kam näher: »Gerswind, meine Kleine, wo steckst du denn nur? Komm endlich heim, es wartet ein leckeres Süppchen auf dich.«
    So lockt man Mäuse aus ihren Löchern, dachte Gerswind und sah sich rasch um. Kein Baum, kein Strauch, hinter denen sie sich hätte verstecken oder zu denen sie hätte werden können. Gleich würde Fardulf um die Biegung kommen und sie entdecken!
    Verzweifelt streckte sich Gerswind auf der Böschung aus. Teles hatte es geschafft, zu Gras unter Gräsern zu werden – das mußte ihr auch gelingen. »Gras, nimm mich auf«, murmelte sie, »mach mich dir gleich, gib mir deine Gestalt, dafür werde ich dich ehren.« Sie sah, wie sich die kleinen Härchen auf ihren Armen grün färbten, hielt die Luft an und spürte einen leisen Windhauch, der durch ihre Halme fuhr.
    »Bis hierher kann sie kaum gekommen sein«, hörte sie Fardulf zu seinen Begleitern sagen. Oberhalb der Stelle, an der Gerswind lag, ließ er sich auf einem Stein nieder. »Aber fern kann sie nicht sein, das spüre ich.«
    Einer seiner Begleiter deutete auf das Floß, das flußabwärts übersetzte.
    »Vielleicht hat sie die Donau überquert?«
    »Wir fragen den Fährmann.«
    Fardulf stand auf und lief weiter.
    Als die Männer außer Sichtweite waren, erhob sich Gerswind vorsichtig und dankte dem Gras. Jetzt war sie sicher, daß am Hof des Königs nichts Gutes mehr auf sie wartete. Aber wohin sollte sie gehen, wo lag ihre Bestimmung? Am Felsen im Wald hatte sie ihren Vater getroffen, und dort war ihr auch der schreckliche Plan enthüllt worden, den sie vereitelt hatte. An dieser Stätte der Macht würde sie bestimmt Antwort auf ihre Fragen finden. Sie lief langsam feldeinwärts. Nachdem sie die große Kunst des Graswerdens gemeistert hatte, fürchtete sie sich jetzt nicht mehr vor Entdeckung.
    Am Waldrand blieb sie stehen und überlegte, wo sie den Wald betreten hatte. Doch die Stelle wollte sich ihr nicht offenbaren. Aufs Geratewohl schlüpfte sie unter ein Gebüsch, fand den Weg durchs Unterholz aber versperrt. Sie bog ein paar Zweige auseinander und versuchte sich einen Pfad zu bahnen. Das Gestrüpp verweigerte ihr den Durchgang.
    »Ich bitte dich, Wald, um Erlaubnis einzutreten«, flüsterte sie verärgert. Der Wald antwortete nicht. Sie musterte den Boden gründlich und entdeckte einen sehr schmalen Pfad, den ein Tier eingeschlagen haben mußte. Auf allen vieren kroch sie unter den Büschen hindurch. Steinchen drückten sich in Knie und Handflächen, Disteln und Brennesseln malträtierten ihre Unterarme, Dornen zerkratzten Arme und Beine, und Insektenschwärme summten um sie herum. Sie spürte Stiche, Bisse und ein böses Brennen auf der Haut. Wild entschlossen kämpfte sie sich weiter durch. Der Felsen mit der abgerundeten Kuppe konnte jetzt nicht mehr weit sein.
    Sie atmete erfreut auf, als sich nur wenige Armlängen vor ihr eine Lichtung auftat. Endlich würde sie sich wieder aufrichten und an den juckenden Stellen ausgiebig kratzen können. Ein Knacken im Gebüsch ließ sie noch einen Augenblick innehalten. Eine große weiße Hirschkuh sprang auf die Lichtung, blieb stehen und musterte das Kind aus teilnahmslosen gelben Augen.
    »Geh weg!« flüsterte Gerswind dem Tier zu, doch es rührte sich nicht.
    Entmutigt trat sie den Rückweg an. Der Wald wünschte ihre Anwesenheit nicht. Sie mußte seine Zeichen achten.
    Dabei wäre sie nach wenigen Schritten schon am Ziel gewesen und dort auf Teles gestoßen. Der hatte sich erschöpft an den Felsen gelehnt und war eingeschlafen. Sein Verfolger trat leise

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