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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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werden. Ihre Sorge, Gott zu beleidigen, hatte sich gelegt. Der Christengott befahl zwar, neben ihm keine anderen Götter zu verehren, doch ganz so ernst konnte er es nicht meinen, da man außer ihm auch noch Jesus, den Heiligen Geist und eine große Anzahl von Heiligen anrufen durfte. Jesus war ein Mensch gewesen, der gewiß darunter gelitten hatte, daß er sich zu jener Zeit, da er auf Erden wandelte, nur an eine einzige Autorität wenden konnte. Mein Gott, warum hast du mich verlassen! Jesus verstand bestimmt, daß sich ein von aller Welt verlassenes Mädchen jeglicher Hilfe versichern mußte, deren sie habhaft werden konnte. Und die anderen Gottheiten – so viel wußte sie von Teles – duldeten nicht nur weitere hohe Wesen neben sich, sondern waren diesen oft sogar dankbar, wenn sie ihnen Arbeit abnahmen. Man mußte nur gut darauf achten, sie nicht gegeneinander auszuspielen und allen die Ehre zu erweisen, die sie einforderten. Solche Gedanken bewegten Gerswind, während ihrer Wanderung und ließen die Zeit schnell vergehen.
    Ein Bauer nahm sie ein Stück in seinem Eselskarren mit und bot ihr ein Nachtlager in seiner Hütte an. Gerswind rechnete damit, daß die Bäuerin kein glückliches Gesicht über die Ankunft eines weiteren Mauls zum Stopfen machen würde. Um so überraschter war sie, als die Frau sie nicht nur freundlich begrüßte, sondern geradezu beglückt erschien. Sie nahm ihrem kleinen Sohn kurzerhand den Teller Grütze weg, schob ihn Gerswind auf dem grobgezimmerten Tisch zu und forderte sie auf, ordentlich zuzulangen. Das Brüllen des um sein Abendessen betrogenen Jungen stillte die Frau durch eine kräftige Ohrfeige. Wimmernd ließ sich das Kind zu Boden fallen.
    »Er muß noch lernen, was Gastfreundschaft heißt«, sagte die Frau, doch unter ihrem gönnerhaften Lächeln war es Gerswind etwas unbehaglich zumute, und sie wurde den Eindruck nicht los, daß diese Frau etwas von ihr wollte. Sollte sie später etwa den Stall ausmisten? Sie fand es auch höchst seltsam, daß die Frau sie nicht fragte, wer sie war, wo sie herkam und wo sie hinwollte, sondern über ihre eigenen Sorgen plauderte. Das war nicht gerade ein Beispiel für die zuvor so hochgepriesene Gastfreundschaft.
    »Jetzt verlangt der König gar, daß wir Krapp anbauen«, sagte sie, als sie Gerswinds Becher mit etwas Kräuterwasser aus einem Krug füllte. »Dabei dauert es drei Jahre, bis die Färberröte im Wurzelstock entsteht und er geerntet werden kann. Und erst wenn er getrocknet und zermahlen ist, sieht man, ob er das richtige Feuerrot hat. Der König hat gut reden! Wovon sollen wir denn bis dahin leben?«
    Während Gerswind noch darüber nachdachte, ob es recht war, einer Fremden derartig Lästerliches über den König des Landes mitzuteilen, betrat der Mann, der den Esel versorgt und seine Fuhre abgeladen hatte, die Hütte. Er wollte sich an den Tisch setzen, aber die Frau sprang hastig auf, zog den Mann in eine Ecke und redete leise auf ihn ein, während sie immer wieder verstohlen zu Gerswind hinüberblickte. Der Mann nickte beflissen und verließ grußlos das Haus.
    In dem Augenblick ging Gerswind ein Licht auf. Als seine Schritte verhallt waren, erhob sie sich langsam von dem Baumstamm, der ihr als Sitz diente, reckte sich, als ob sie müde wäre, stellte den Teller mit dem Rest der Grütze auf den Boden vor den Jungen, bemerkte, daß sie sich erleichtern müsse, und riß dann blitzschnell die Tür auf. Weg war sie!
    »Du bleibst hier!« kreischte die Bäuerin. Sie griff nach der Peitsche am Wandhaken, tat ein paar Schritte nach vorn und fiel dabei über das Kind mit dem Grützeteller. Nachdem sie sich wild fluchend wieder aufgerappelt hatte, rannte sie hinaus. Vor der Hütte blieb sie stehen und suchte mit den Augen die Felder ab. Auf der Landstraße sah sie nur ihren Mann langsam kleiner werden. Das flüchtige Kind schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
    »Was für ein Unglück! Die schöne Belohnung!« jammerte die Frau, während sie im Hof hinter dem Holzstapel, dem Misthaufen und dem Ackergerät nachsah.
    Als sie wieder im Haus verschwand, bedankte sich Gerswind artig bei dem Holunderstrauch, der ihr Deckung gegeben hatte, und floh über die Felder. In der Ferne sah sie die dunkle Linie eines Waldrandes.
    Sie wußte, daß Belohnungen auf das Ergreifen von Verbrechern ausgesetzt wurden. Wenn man bei der Suche nach ihr zu einem solchen Mittel griff und sich dieses sogar schon fast einen halben Tagesmarsch von Regensburg

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