Die Beutefrau
näher, sah sich um und grinste breit. Gut, der Grieche hatte ihn nicht zu dem Kind geführt, aber der Lohn für die Auffindung einer heidnischen Kultstätte in unmittelbarer Nähe des Regensburger Hofes war auch nicht zu verachten!
»Es kann doch nicht sein, daß eine Schar ausgewachsener Männer ein zehnjähriges Kind nicht auftreiben kann!« rief Karl, als er sich am Abend zum Speisen in die Halle begab. Fastrada hatte Sorge getragen, daß reichlich gebratenes Wildbret aufgetischt wurde, das Mahl, das dem König stets am besten mundete. Sie selbst zog frisches Gemüse vor, doch der Küchenmeister hatte ihr beschieden, daß die Bauern dies nicht mehr in ausreichendem Maße liefern konnten. Die Dürre des Sommers hatte das Gemüse verkümmern lassen.
»Ja, ja, und die Dämonen fressen das Getreide«, hatte sie unwirsch geantwortet. »Die Donau führt noch Wasser, was also hält die Bauern davon ab, damit die Beete zu bewässern?«
»Ein Befehl des Königs«, gab der Küchenmeister eingeschüchtert zurück. »Er fürchtet, daß dann nicht genügend Wasser in den Graben fließen wird, den er zwischen Rezat und Altmühl braucht, um endlich Rhein, Donau und Main miteinander zu verbinden. Der große Plan darf nicht gefährdet werden.«
Fastrada wäre die Vollendung eines anderen großen Plans wichtiger gewesen: eines festen Wohnsitzes für den Hof. Wie bedauerlich, dachte sie, daß die Pfalz in Worms dieser furchtbaren Feuersbrunst zum Opfer gefallen ist und sich Karl nun doch für das stinkende Aachen entschieden hat! Aber an die faulige Luft würde sie sich wohl eher gewöhnen als an das ständige Umherziehen. Unvorstellbar, daß Karl es so liebt, in diesen nach faulen Eiern stinkenden Gewässern zu baden, und wirklich daran glaubt, seinen Gliedern damit eine Wohltat zu erweisen! Warum hört er nicht auf die Ärzte, die meinen, weniger Fleischgenuß wäre seinen Gliedern wesentlich bekömmlicher als die heißen Quellen! Aber mein Karl kann ja nicht einmal in der Fastenzeit auf seinen Braten verzichten! Fastrada schüttelte den Kopf, als sie an die Summen dachte, die ihr Gemahl der Kirche klaglos zahlte, damit er nicht im Jenseits für diese Sünde büßen mußte.
»Erst Hände waschen!« wies Karl jetzt Hruodhaid zurecht, die gierig nach einem Stück Auerochs gegriffen hatte. Erschrocken ließ das Mädchen das Fleisch auf den Tisch fallen und steckte hastig die Hände in die Waschschüssel, die ihr ein Bediensteter hinhielt. Es schien, daß sie an diesem Hof immer alles falsch machte.
Nachdem sie ihr ganzes bisheriges Leben im Kloster Chelles zugebracht hatte, fiel es ihr schwer, sich an den großen lärmenden Haushalt des Königs zu gewöhnen. Sie war nicht so flink mit der Zunge wie Karls andere Töchter, reagierte auf die oft groben Späße der Söhne verängstigt und wußte, daß sie den König enttäuscht hatte, auch wenn ihr undeutlich war, weshalb. Karl hätte ihr schlecht sagen können, daß er von ihr weitaus mehr erwartet hatte als von allen seinen anderen Kindern, da sie seiner Verbindung mit der klügsten Frau der Welt entstammte. Sätze, so edel geformt wie Perlen, hätten von ihren Lippen rollen, philosophische Betrachtungen und mathematische Berechnungen wie selbstverständlich diesem kindlichen Hirn im Nebenlauf entspringen sollen. Und ein selbstbewußtes Auftreten erwartete der König von allen seinen Kindern. Doch Hruodhaid schien nicht in der Lage zu sein, ihre Schüchternheit abzulegen. Sie stotterte immer wieder, war ungeschickt in ihren Bewegungen und stach beim Unterricht in der Hofschule nicht durch begnadete Leistungen hervor. Die anderen Kinder machten sich offen über sie lustig, so daß sie sich noch mehr verschloß. Einzig Gerswind hatte sich ihrer angenommen, ihr beispielsweise mit unendlicher Geduld beigebracht, Tuch mit Gold- und Silberstickereien zu versehen. Sie liebte Gerswind.
»W… wo ist G… Gerswind?« fragte sie jetzt schüchtern.
»Genau das möchten wir alle wissen!« schrie Karl sie an. »Du schläfst doch in einem Bett mit ihr, da hat sie bestimmt verlauten lassen, wo sie sich gern aufhält?«
Hruodhaid hob scheu die Schultern. Wieder einmal konnte sie dem König keine Antwort auf eine Frage geben. Wieder einmal hatte sie versagt.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Gerswind bereits den Weg nach Norden eingeschlagen. Irgendwo dort waren schließlich ihre Wurzeln, und sie vertraute darauf, von Jesus, den Heiligen, den Göttern und den Ahnen an den richtigen Ort geführt zu
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