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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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nur im entferntesten daran gedacht, daß er sie verraten könnte. Trotz der warmen Witterung wurde ihr mit einem Mal ganz kalt.
    Karl der Jüngere hatte sie tatsächlich erkannt, und während er zur Aula ritt, in der die Reichsversammlung tagte, fragte er sich, weshalb das Sachsenmädchen heimlich an den Hof zurückgekehrt war. Er bewunderte ihren Mut, konnte sich aber nicht vorstellen, daß ein so junges Mädchen auf eigene Faust handelte und sich schutzlos in der Höhle des Löwen bewegte. Er hielt es nicht für ausgeschlossen, daß sich aufständische Sachsen des jungen Dings bedienten, um Vorgänge am Hof auszukundschaften. Und es versetzte seinem Herzen einen Stich, als er überlegte, welchem Schicksal dieses einst so fröhliche und unbekümmerte Mädchen seit seinem Verschwinden am Hof wohl ausgesetzt gewesen sein mußte. Nun, wenn sie der Spielball irgendwelcher feindlicher Kräfte war, würde er das schnell genug herausfinden. Seinem Vater wollte er vorerst noch keine Mitteilung darüber machen – der hatte jetzt mit seiner Synode genug um die Ohren. Außerdem verschaffte es dem jungen Karl eine gewisse Genugtuung, in wenigstens einer Angelegenheit besser Bescheid zu wissen als der König.
    Alle Welt vermutete, daß es hinter den geschlossenen Türen der Aula in erster Linie darum ging, die Irrlehre des spanischen Bischofs Felix von Urgel zu widerlegen und zu verurteilen. Es mußte ein für allemal klargestellt werden, daß Christus als Mensch nicht der Adoptivsohn des Vaters im Himmel war.
    Doch Karl der Jüngere wußte, daß dieses schon längst abgehandelte Thema über den Adoptianismus seinen Vater keinesfalls veranlaßt hatte, sämtliche Würdenträger des Landes sowie päpstliche Abgeordnete, Legaten und Abgesandte aus Spanien und England zusammenzurufen, sondern daß diesem massiven Aufgebot bedeutender Führer verletzte Eitelkeit des Königs zugrunde lag. Karl hatte sich nämlich maßlos darüber geärgert, daß Kaiserin Irene von Byzanz sieben Jahre zuvor keine fränkischen Abgeordneten zu jenem Konzil von Nicäa eingeladen hatte, das inzwischen als ›universal‹ galt. Diese Mißachtung der westlichen Vormacht und deren Theologen hielt König Karl für eine unverzeihliche Anmaßung, die sich zudem noch eine Frau erlaubt hatte! Schließlich war sie nur die Mitkaiserin ihres schwachen Sohnes – jenes Geschöpfs, mit dem seine Tochter Rotrud so lange verlobt gewesen war.
    Jetzt wollte Karl seinerseits die Ostkirche in ihre Schranken weisen und die Bilderverehrung, die das Konzil in Nicäa ausdrücklich gutgeheißen hatte, als ketzerisch verurteilen. Damit konnte er sich als einzigen legitimen Anführer der Christenheit darstellen, der diesem Weib auf dem Kaiserstuhl von Byzanz weit überlegen war. Nach den vielen Katastrophen des Vorjahres, vor allem der Hungersnot, die ganze Landstriche entvölkert hatte, war das auch innenpolitisch von großer Bedeutung.
    Das Volk bedurfte eines Zeichens der Stärke. Daß Karls ehrgeiziger Plan, die Flüsse Donau, Main und dadurch auch den Rhein miteinander zu verbinden, gründlich mißlungen war, hatte seiner Autorität schwer geschadet. Anhaltender Regen und sumpfiger Boden hatten das Werk vollends zunichte gemacht, denn was die Arbeiter bei Tag aushoben, rutschte in der Nacht wieder in den Graben. Schweren Herzens hatte Karl die Idee seiner Fossa Carolina aufgegeben und sich dringlicheren aktuellen Fragen zugewandt. Diese betrafen in erster Linie die Landwirtschaft, um eine solche Hungersnot wie in den beiden Vorjahren zu verhindern.
    Karl der Jüngere hatte indes die Königshalle erreicht. Er übergab seinen Hengst einem Diener und nickte den Wachen zu, die ihm eilfertig die Tür zur Aula öffneten. Sein Platz wäre neben dem König gewesen, doch da dieser gerade am Pult stand und in seiner befremdlich hellen, aber gerade deshalb weit tragenden Stimme etwas verkündete, blieb der junge Karl im Schatten der hinteren Säulen stehen.
    »Die neuen Münzen, die Nova Denarii, werden im gesamten Reich eingeführt und müssen von allen anerkannt werden«, sprach die Fistelstimme des Königs in lateinischer Sprache. »Auf allen soll unser Name stehen, und sie sollen aus reinem Silber angefertigt werden.« Er führte aus, wie er sich das vereinheitlichte Münzwesen im Reich vorstellte.
    Karl der Jüngere war beeindruckt. Die Denare würden durch eine Steigerung des Normgewichts auf ein Pfund und durch die reduzierte Unterteilung von zweiundzwanzig auf zwanzig

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